JAHRESRÜCKBLICK

Das Problem mit den Pestiziden bleibt

Welche Landwirtschaft wollen wir? VON KILIAN BAUMANN

Als ich am 13. Juni im Zug von Suberg nach Bern saß, war klar, dass die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative abgelehnt würden. Ich war gefasst, überlegte mir, was ich in den vielen Interviews, die auf mich zukommen würden, sagen will. Man legt sich Sätze zurecht, überlegt, wie man argumentiert, um ein guter Verlierer zu sein.

Es war das erste Mal, dass ich wieder öffentlich auftrat. Wochenlang war in den landwirtschaftlichen Medien gegen mich und andere Befürworter der Initiativen angeschrieben worden, was mir heftige Beschimpfungen von anderen Landwirten einbrachte. Jeden Tag lagen Drohbriefe in meinem Briefkasten. Man werde meinen Hof anzünden, und solche Dinge standen da. Irgendwann ging es nicht mehr nur gegen mich, den Politiker und Bauern, sondern auch gegen meine Familie. Da sagte ich alle öffentlichen Auftritte ab.

Die Bundespolizei besuchte uns und gab Ratschläge, wie wir uns schützen können. Von nun an patrouillierte die Polizei auf unserem Hof. Wenn Freunde vorbeikamen, wurden sie als Erstes gefilzt. Das ist unangenehm. Auch wenn man nachts aus dem Fenster schaut, einen Lichtkegel im Garten sieht und dann merkt: Aha, es ist die Polizei, die dich beschützt!

Mit 60 Prozent Nein-Stimmen wurden die Initiativen abgelehnt. Ein Ja wäre ein Riesending gewesen, wir hätten agrarpolitisch neue Maßstäbe gesetzt, die ganze Welt hätte auf die Schweiz geschaut. Gleichwohl war der Einsatz nicht umsonst. Die intensive Debatte sensibilisierte die Bevölkerung für die Probleme, welche die hochintensive Landwirtschaft mit sich bringt. Und – sie erhöhte den Druck auf die Politik, etwas zu verändern. Auch wenn die mächtige Lobby des Bauernverbandes, hinter der auch die Agrochemie steht, einen Gegenvorschlag verhinderte, so konnten wir doch ein paar Punkte auf Gesetzesstufe ändern: Bis 2027 sollen die Risiken, die durch den Einsatz von Pestiziden entstehen, um die Hälfte reduziert werden. Für Hobbygärtner sind bald die meisten synthetischen Pestizide verboten. Fachleute schätzen, dass sie für fünf bis zehn Prozent des Verbrauchs verantwortlich sind. Landwirte und andere professionelle Anwender müssen künftig eine Prüfung ablegen, bevor sie mit den giftigen Produkten hantieren. Und die Futtermittelhändler müssen transparent machen, wem sie ihre Produkte verkaufen. Das mag sonderbar klingen, ist aber wichtig: Der Mist und die Gülle, die aus dem Importfutter entstehen, verursachen Stickstoff- und Phosphorüberschüsse und belasten die Umwelt. Diese Offenlegungspflicht wird uns helfen, den Druck auf jene zu erhöhen, die nicht bereit sind, etwas gegen die Überdüngung zu tun.

Die Frage, welche Landwirtschaft die Schweiz will, wird uns auch im neuen Jahr beschäftigen. Die intensive Landwirtschaft findet im Mittelland statt. Also dort, wo die meisten Menschen leben. Sie sind immer weniger bereit zu akzeptieren, dass zwischen ihren Häusern synthetische Pestizide ausgebracht werden, die sich über die Luft verbreiten und das Wasser belasten, das sie trinken.

Die Schlimmste an diesem 13. Juni war für mich nicht das Nein zu den Initiativen. Damit mussten wir rechnen. Eine Katastrophe war, dass am selben Tag auch das CO₂-Gesetz bachab ging. Dass der Bauernverband die Agrarinitiativen aggressiv bekämpfte und Bauern wie mich zu Totengräbern der Schweizer Landwirtschaft stempelte, ist das eine. Dass sie aber darauf verzichtet haben, das CO₂-Gesetz auf dem Land beherzt zu bewerben, das werde ich nie verstehen. Wir Bauernfamilien sind mit am stärksten betroffen von extremen Wetterereignissen, von Dürre, Hochwasser, Hagel und allem, was zum Klimawandel gehört. Wir haben eine Klima- und Biodiversitätskrise – und an vorderster Front verhindert ausgerechnet ein Bauernverband griffige Maßnahmen, um der Krise zu begegnen. Das ist absurd! Ich selbst habe es diesen Sommer zu spüren bekommen. 200 Jahre gab es keine Hochwasserschäden auf unserem Hof. Doch nun waren wir bereits zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren von Überschwemmungen betroffen. Das tut weh.

Aufgezeichnet von Sarah Jäggi

Foto: Silvan Mahler Illustration: Jack Taylor für DIE ZEIT

Kilian Baumann, 41, Bauer und grüner Nationalrat