HOCHSCHULE

Die Angeklagten

Eine Professorin steht vor Gericht – ihr wird Mobbing vorgeworfen. Der Fall ist nicht der einzige, der die Wissenschaft zurzeit beschäftigt  Von Jeanne Rubner

Licht dringt durch die Dachfenster, die Haupthalle der Universität Klagenfurt zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Es ist ein warmer Tag, die Sonnenstrahlen fallen auf die Inschrift an der Wand. »Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei«. Noch sind Semesterferien, ein paar Studenten sitzen in der Sonne, andere radeln zum Wörthersee, der Campus schmiegt sich zwischen Innenstadt und Badesee. Die Alpen Adria Universität wirbt gerne mit hohem Freizeitwert, innovativen Studiengängen und exzellenter Forschung.

Doch das kleine Hochschulparadies ist seit knapp zwei Jahren Schauplatz einer Auseinandersetzung. Ausgetragen wird sie inzwischen vor dem Landesgericht Klagenfurt. Dort klagt die deutsche Geografin Heike Egner gegen ihre fristlose Entlassung durch ihre Hochschule. Sie soll, so steht es im Entlassungsschreiben, Studierende und Mitarbeiter durch »gröblich herabsetzende und beleidigende Kritik, Ehrverletzungen und Ausübung psychischer Gewalt« in ihrer »menschlichen Würde verletzt« haben. Egner weist die Vorwürfe strikt zurück: Es handele sich um »pauschale Ausführungen«; die Universität bleibe »konkrete Gründe« schuldig. Dem Gericht haben die vorliegenden Aussagen allerdings gereicht, um Egners einstige Mitarbeiterin Maria S. (Name geändert) als Zeugin zu hören.

Es ist ein Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht. Und der grundsätzliche Fragen aufwirft, die den akademischen Betrieb derzeit beschäftigen: Wie sollten wissenschaftliche Institutionen bei solchen Konflikten reagieren? Wie transparent gehen sie den Vorwürfen nach? Wie definiert sich eine gute Arbeitskultur an der Universität – einem Ort, an dem hoher Leistungsdruck herrscht und die Professoren traditionell mit viel Macht ausgestattet sind?

Diese Fragen will eine Konferenz jetzt auf die große Bühne heben, Ende Februar an der Universität Passau. »Absender unbekannt. Verfahren der Wissenschaft zum Umgang mit anonymen Anschuldigungen« lautet der Konferenztitel, beteiligt sind die Hochschulrektorenkonferenz, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der Deutsche Hochschulverband. Es sei wiederholt vorgekommen, heißt es in der Ankündigung, dass Personen aus Führungspositionen »entfernt« oder Arbeitsverträge aufgelöst würden – »ohne dass das Fehlverhalten im Rahmen eines Verfahrens nachgewiesen wurde«. Die Konferenz ist Zeichen eines neuen Problembewusstseins in der Wissenschaft. Lange galten Labore, Bibliotheken und Hörsäle als hehre Räume des Geistes und des Wissens. Heute aber ist die Universität, insbesondere für eine jüngere Generation an Forscherinnen und Forschern, eine normale Arbeitgeberin, die ihre Standards infrage stellen lassen muss.

Verhandlungssaal 7, Maria S., lange dunkle Locken, klassischer Hosenanzug, ist an diesem Septembertag als Zeugin geladen. Die 43-jährige gebürtige Spanierin ist eine frühere Mitarbeiterin an Egners Institut. Links von ihr sitzt die Klägerin, ihre frühere Chefin, mit ihrem Anwalt. Rechts der Vizerektor der Universität mit seinem Anwalt. Vor ihr der Richter, unter dem Kärntner Wappen.

»Zunächst war alles harmonisch«, beginnt S. stockend. 2014 hatte sie als Postdoktorandin an der Universität Klagenfurt begonnen. Die Stelle war befristet. Nach einem Jahr, erzählt sie, habe sich das Verhältnis zu ihrer Chefin verschlechtert. Beim Mitarbeitergespräch habe Heike Egner ihr signalisiert, dass sie »nicht zu Reflexionen fähig« sei. Trotzdem habe sie mit der Universität eine Qualifizierungsvereinbarung getroffen: die Voraussetzung, um sich zu habilitieren und die Stelle anschließend zu entfristen. »Ich hatte zunehmend Angst, meinen Job zu verlieren.« Der Richter bohrt nach. Die Zeugin spricht langsam und lang, ihr Deutsch ist nicht immer verständlich.

»Einige Kollegen und auch Frau Egner haben beim Jour fixe des Instituts immer wieder nachgefragt, wenn ich Deutsch gesprochen habe«, sagt Maria S., »ich bin als schwierige Person hingestellt worden, als unfähig zu arbeiten.« Sie scheint noch immer aufgeregt und unsicher.

Heike Egner, 57, ist eine ernste, ruhige Frau, schlank mit kurzen Haaren. Sie wirkt geradlinig, formuliert wohlüberlegt. Inzwischen kreist ihr Leben um ihre Entlassung. An diesem Verhandlungstag spricht sie nicht im Gerichtssaal, nur die Gegenseite kommt zu Wort.

Gegenüber der ZEIT bestreitet sie nicht, dass es an ihrem Institut Konflikte gab. Maria S., sagt sie, habe sich »schwergetan mit den Anforderungen für eine akademische Karriere«. Dabei hatte die Professorin sie vor fünf Jahren selbst eingestellt. Sie kam von der Universität Zürich und hatte einige Veröffentlichungen vorzuweisen. »Sie machte einen guten Eindruck«, sagt Egner, »und sie versprach, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und bald auch in Deutsch zu unterrichten.« Das sei nicht passiert. Als Betreuerin fertigt Egner am 27. September 2017 routinemäßig eine Stellungnahme zur Tätigkeit der Postdoc-Assistentin an; sie liegt der ZEIT vor. »Die Entwicklung eines eigenständigen ... Forschungsprofils sind bislang nur in Ansätzen erkennbar«, schreibt Egner darin. Und: »Die Evaluation der Lehre ... zeigt ein bislang eher unterdurchschnittliches Bild.« Egner hält die Defizite fest und schreibt auf, wo ihre Mitarbeiterin sich verbessern müsse, damit ihre Habilitation nicht gefährdet sei. Maria S. dagegen versteht Egners Kritik nicht: »Ich habe mir Mühe gegeben, aber sie war nie zufrieden«, sagt sie vor Gericht. Egner beantragt eine Mediation. Doch der Schlichtungsversuch entspannt den Konflikt nicht. Am 4. Mai 2018 wird Egner, seit 2010 Professorin in Klagenfurt und Vorstand des Instituts für Geographie und Regionalforschung, fristlos entlassen. In Österreich sind Professoren Angestellte, die anders als in Deutschland gekündigt werden können.

Egner sagt, die Entlassung sei für sie aus dem Nichts gekommen: »Ich habe nie eine Verwarnung oder Abmahnung bekommen, in meiner Personalakte ist nichts vermerkt.« Jetzt, im Nachhinein, fragt Egner sich, was sie übersehen habe. Und ob ihre Universität sich arbeitsrechtlich und rechtsstaatlich korrekt verhalten habe. Am 17. Januar 2018 saß sie beim Rektor ihrer Universität, Oliver Vitouch, im Büro – für ihr eigenes Mitarbeitergespräch. Sie erinnere sich daran, dass Vitouch gesagt habe, der Betriebsratsvorsitzende habe bedenkliche Unterlagen. Auf ihre Frage, worum es gehe, habe er auf Vertraulichkeit verwiesen. »Ich habe ihn gefragt, was ich tun kann, um eventuelle Missverständnisse aufzuklären«, erinnert sich Egner. »Er sagte mir: Gar nichts, ich solle mir keine Sorgen machen.« Auf ihre Mails mit der Bitte um Aufklärung habe der Rektor nicht reagiert, sagt sie. Das nächste Gespräch zwischen den beiden fand am 4. Mai 2018 statt: Es ist das Entlassungsgespräch.

Die ZEIT hat den Rektor um eine Stellungnahme gebeten; Fragen zum Fall wollen jedoch weder er noch sein im Gerichtssaal anwesender Stellvertreter beantworten, da es sich um ein laufendes Verfahren handele. Auch der Betriebsrat und Maria S. wollten sich nicht äußern.

Kommen an der Universität Konflikte zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern häufiger vor – nicht nur in Klagenfurt? Es gab in jüngerer Zeit mehrere Fälle, die unter dem Stichwort Mobbing Schlagzeilen machten:

Die Astronomin Marcella Carollo von der ETH Zürich wurde im Juli 2019 als erste Professorin in der Geschichte der renommierten Universität entlassen, sie soll Doktoranden schikaniert haben. »Diese Frau zerstört deine Hoffnungen und dein Leben«, hatte ein Student anonym im Netz gepostet. Carollo hatte stets bestritten, ihre Mitarbeiter schlecht behandelt zu haben – allerdings betont, dass eine akademische Karriere kein einfacher Job sei, den man in einer festen Arbeitszeit von 9 bis 17 Uhr erledigen könne.

Die deutsche Neuropsychologin Tania Singer musste ihren Direktorenposten am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig aufgeben, nachdem Mitarbeiter sich über schlechte Behandlung und massiven psychologischen Druck beschwert hatten. Singer leitet heute eine kleine Arbeitsgruppe in Berlin; sie äußert sich nicht zu dem Fall – sie hat ein Schweigeabkommen mit der Max-Planck-Gesellschaft.

Auch die Astrophysikerin Guinevere Kauffmann vom Garchinger Max-Planck-Institut für Astrophysik stand nach Mobbingvorwürfen von Doktoranden in der Kritik. Sie musste ein Training absolvieren, hat aber ihre Stelle nicht verloren. Im Wissenschaftsjournal Nature nahm Kauffmann später Stellung: Sie stamme aus einer akademischen Generation, die immer hohem Druck ausgesetzt gewesen sei. »Ich habe gemerkt, dass dies heutzutage nicht mehr akzeptabel ist.«

Die akademische Arbeitskultur ist, insbesondere in Deutschland, Österreich, der Schweiz, hierarchisch organisiert. Junge Wissenschaftler müssen sich bis zur Professur von Vertrag zu Vertrag hangeln, sind auf ihre Vorgesetzten angewiesen. Der Leistungsdruck ist hoch in einem System, das internationale Spitzenleistungen verlangt. Der Kampf beginnt bereits während der Promotion. Gerungen wird um Publikationen in renommierten Journalen, um Stellen an Spitzen-Unis und um Drittmittel. Studien stützen dieses Bild. Der Wellcome Trust veröffentlichte im Januar eine Umfrage, in der 4200 Wissenschaftler – überwiegend aus Großbritannien – über ihre Arbeitskultur befragt wurden. 78 Prozent der Befragten gaben an, dass der hohe Konkurrenzdruck »unfreundliche und aggressive Arbeitsbedingungen« schaffe; zwei Drittel haben Mobbing oder Belästigungen beobachtet, 43 Prozent sie sogar selbst erlebt.

Die Mobbingvorwürfe gegen einzelne Wissenschaftlerinnen sind Ausdruck dieser Situation. Auffällig ist, dass die öffentlichkeitswirksamen Fälle alle Frauen betrafen. Woran liegt das?

Ursula Keller, Physikerin an der ETH Zürich, glaubt: Das Führungsverhalten von Frauen werde besonders beobachtet. Im Fall ihrer Kollegin Carollo ging sie mit ihrer Universität ins Gericht. Im Schweizer Magazin Republik sagte sie: »Mit einem männlichen Professor wäre man anders umgesprungen. Man hätte aufgrund schwammiger Vorwürfe einen Professor nicht sofort belastet.«

Einer internen Untersuchung der Eidgenössischen Polytechnischen Hochschule Lausanne (EPFL) zufolge, die der ZEIT vorliegt, gab es dort zwischen Januar 2011 und September 2018 insgesamt 49 Untersuchungen wegen Fehlverhaltens. Davon betrafen zwölf Frauen, das sind 24 Prozent. Frauen machen aber nur etwa 15 Prozent der Professorenschaft aus, sie waren also deutlich häufiger von Vorwürfen betroffen, als es ihrem Anteil entspricht. Allerdings erwiesen sich die Vorwürfe gegen alle Frauen als unbegründet, während fast die Hälfte der betroffenen Männer für schuldig erklärt und sanktioniert wurde.

Diverse Studien dokumentieren, dass die Erwartungen an Frauen am Arbeitsplatz andere sind als an Männer. Frauen mit starkem Führungsverhalten werden eher negativ gesehen, während Männern zugestanden wird, dass sie ihre Meinung lautstark kundtun und Konkurrenten scharf kritisieren oder gar demütigen dürfen. Eine Untersuchung des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit belegt, dass Arbeitnehmer Kritik als negativer empfinden, wenn sie von einer weiblichen Vorgesetzten kommt.

»Es gibt unbewusste Vorurteile«, sagt auch Thomas Sattelberger. Der frühere Telekom-Personalvorstand und FDP-Abgeordnete im Bundestag befasst sich engagiert mit dem Thema. Er hat bereits drei Anfragen an den Bundestag eingereicht, die sich den Mobbingvorwürfen gegen Wissenschaftlerinnen widmen und die helfen sollen, einen systematischen Überblick zu bekommen: Gibt es an den Forschungseinrichtungen Strukturen, die Mobbing begünstigen – oder die eine anonyme Anschuldigungskultur befördern, die insbesondere für Frauen rufschädigend ist? Die Auskünfte des Bundesforschungsministeriums blieben vage: Das Ministerium verweist auf die Geschäftsleitungen der Institute.

Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) hat mit Tania Singer und Guinevere Kauffmann gleich zwei prominente Mobbingfälle erlebt. MPG-Generalsekretär Rüdiger Willems bestreitet, dass das Thema Frauen stärker betreffe als Männer, räumt aber ein: »Es kann durchaus sein, dass die unterschiedlichen Erwartungen an Männer und Frauen insbesondere in Führungspositionen eine Rolle spielen.« Von Frauen erwarte man, dass sie nett, sanft und mütterlich seien.

Für die Universitäten sind diese Fragen eine Herausforderung: Nach welchen Kriterien beurteilen sie ihr Führungspersonal? Wie schützen sie jüngere, abhängige Forscher? Wie verhalten sie sich, wenn Aussage gegen Aussage steht? Und wie verhindern sie, dass Konflikte eskalieren?

»Eine Organisation, die zum Teil von öffentlichen Mitteln lebt, muss erst recht dafür sorgen, dass rechtsstaatliche Verfahren eingehalten werden«, sagt Ursula Keller. Sie kritisiert vor allem ihre Universität, die ETH. Inzwischen hat die Fehler eingeräumt: Die Kommunikation mit den Betroffenen sei nicht optimal gewesen, die Eskalationswege hätten nicht funktioniert, sagte ETH-Präsident Joël Mesot. Carollo sei zu spät verwarnt worden und habe keine Chance gehabt, ihr Verhalten anzupassen, kritisierte auch die eingesetzte Untersuchungskommission. An der Entlassung hält die Hochschule fest. In Zukunft aber soll es eine unabhängige externe Ombudsstelle geben.

Auch die Max-Planck-Gesellschaft zieht Konsequenzen aus dem Fall Singer. Generalsekretär Willems ist zwar überzeugt, dass Mobbingvorwürfe in internen Verfahren verhandelt werden müssen, doch die Verfahrensregeln müssten transparent sein. So habe die MPG ihre Meldewege verbessert: Inzwischen gibt es eine externe Kanzlei, an die Betroffene sich wenden können, und eine hauptamtliche Untersuchungsleiterin, zuständig für Fehlverhalten gegenüber Mitarbeitern.

Bei Heike Egner haben Studierende und Mitarbeiter unterschiedlich auf ihre offensichtlich hohen Ansprüche reagiert. Die Zusammenarbeit sei »schwierig und angstbehaftet«, meldete der Betriebsrat an das Rektorat und berief sich auf acht schriftliche sowie weitere mündliche Berichte, die – in Form von Gedächtnisprotokollen – Auseinandersetzungen mit Egner wiedergeben sollen. Zwei dieser Stellungnahmen sind anonym eingegangen; sie liegen der ZEIT vor. »Sie hat mich und andere StudentInnen als Analphabeten bezeichnet«, steht in einer Mail vom 10. Mai 2018. Ein anderer Betroffener schreibt, Egner habe sein Bachelorstudium erschwert: »Sie zögert den Fortschritt andauernd heraus.«

Es gibt auch andere Stimmen: »Sie fordert, aber sie fördert auch«, sagt ihre einstige Habilitandin Kirsten von Elverfeldt. »Sie hat mich zum Nachdenken angeregt«, schreibt ihr ehemaliger Student Ingomar Preiml in einer Stellungnahme, »das war nicht immer leicht, aber durch das Verlassen meiner Komfort-Zone habe ich fachlich und persönlich sehr stark profitiert.« Knapp 20 Studenten sowie 15 Institutsmitarbeiter und Lehrbeauftragte haben sich per offenem Brief mit Egner solidarisiert.

Der Prozess ist beim Klagenfurter Gericht weiterhin anhängig. Der nächste Verhandlungstag ist auf den 9. März angesetzt. Maria S. hat inzwischen eine Dauerstelle an der Uni Klagenfurt. Heike Egner ist derzeit Gastprofessorin in Mainz, bald wird sie an der Uni Wien lehren. Den Campus ihrer alten Universität darf sie nicht mehr betreten.

Die Autorin leitet die Redaktion Wissen und Bildung aktuell des Bayerischen Rundfunks. Ihr Beitrag zum selben Thema läuft am 2. Februar 2020 um 15.30 Uhr im »Campusmagazin« auf dem Sender B5 aktuell

Foto: Max Siedentopf

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