Literatur

Ein herzenskalter Akt

Dass der S. Fischer Verlag mit einer Autorin wie Monika Maron seine Probleme haben kann, ist verständlich. Dass man sie vor die Tür setzt, ist ein Fehler VON IRIS RADISCH

Die Schriftstellerin Monika Maron hat im S. Fischer Verlag in neununddreißig Jahren neunzehn Bücher veröffentlicht. Das zwanzigste ist für das kommende Jahr angekündigt, in dem die Autorin achtzig Jahre alt wird und vierzig Jahre lang im Fischer Verlag publiziert. Das anstehende Doppeljubiläum der Autorin, die wie keine andere deutsch-deutsche Literaturgeschichte geschrieben hat, wird nun durch die Nachricht getrübt, ihr Verlag wolle nach dem bereits angekündigten Band kein weiteres Buch der renommierten Autorin mehr veröffentlichen.

Der Rausschmiss muss der Autorin wie ein Déjà-vu vorkommen. Schon ihr erster Roman Flugasche (1981) durfte in der DDR, deren Bürgerin sie bis zum Jahr 1988 war, nicht erscheinen. Dem staatlichen Zensor passte es nicht, wie Maron in ihrem Debüt die Umweltsünden der DDR-Industrie anprangerte. In ihrem bisher letzten Buch Artur Lanz, das gerade erschienen ist, erregte umgekehrt die Polemik über eine angebliche Ökodiktatur öffentlichen Anstoß.

Der Thesenroman, in dem auch der Verlust einer ritterlichen Männlichkeit als Vorzeichen für den bevorstehenden Untergang des Abendlandes gedeutet wird, glänzte zwar mit der gewohnt eleganten Klarheit des Stils und der Gelassenheit des Tons, der die Autorin schon immer auszeichnet. So richtig gerne war man bei den ewigen Tafelrunden der im Buch dauerdebattierenden Pensionisten jedoch nicht zu Gast. Die Kritik fiel entsprechend zweischneidig aus. Die einen erfreuten sich an der schönen Fontane-Melancholie der Erzählerin. Die anderen störten sich an der nervigen Rechthaberei des Westberliner Rentnerdebattierclubs, der außer starken Stammtischmeinungen und einem aufsehenerregenden Alkoholsortiment wenig Interessantes aufzutischen hatte.

Zu welcher Partei man auch gehört: Ein Grund für einen Verlagsrausschmiss ist nicht nur in diesem Buch, sondern im gesamten Werk dieser bedeutenden Autorin nicht zu entdecken. Zumal ein Verlag, der einer 79-jährigen Autorin nach fast 40 Jahren den Stuhl vor die Tür setzt, schon sehr viel stärkere Gründe haben muss als nur die weltanschauliche Rechtsneigung eines Alterswerks, mit der Monika Maron keineswegs allein dasteht.

Der Grund für den Rausschmiss waren für die neue Fischer-Chefin Siv Bublitz deswegen auch nicht »die persönlichen Ansichten und Meinungsäußerungen von Monika Maron«, wie es in einer schriftlichen Mitteilung heißt, sondern lediglich Marons Publikation in der Reihe Exil der Loschwitzer Verlagsbuchhandlung von Susanne Dagen, die vom Rittergutsbewohner Götz Kubitschek aus Schnellroda vertrieben wurde. Besonders der Kontakt zum Umfeld des Verlegers des rechtsextremen Antaios Verlages, der mit Björn Höcke kooperiert und vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Fischer Verlag, dessen Gründerfamilie von den Nazi-Schergen ins Exil gezwungen wurde und der zur Heimat deutscher Exilautoren wurde, reagiert verständlicherweise empfindlich auf die Anmaßung der neurechten Verlagsszene, sich als politisch Verfolgte zu inszenieren, denen angeblich nichts anderes übrig bleibt, als vor den Meinungssoldaten des bundesdeutschen Linksliberalismus ins »Exil« der wehrhaften Rittergutspublizistik zu flüchten. Monika Maron kann nicht entgangen sein, in welches Umfeld sie sich begeben hat. Dass sie von der Exil-Idee des Buchhauses Loschwitz nichts gewusst und ihren Ausflug in das Schnellrodaer Rittergutsnetzwerk nicht so gemeint haben will, wie sie im Nachhinein zu verstehen gibt, ist der politisch hellwachen Autorin schwer abzunehmen.

Bei allem Unverständnis für die Entscheidung der Verlagschefin: Die Symbolkraft dieses Brückenschlags sollte man nicht kleinreden. Zum ersten Mal hat sich eine bedeutende Repräsentantin der deutschen Literaturgeschichte publizistisch in die Arme der neurechten Parallelwelt begeben. Mit Ultrarechten geduldig und immer wieder zu reden ist die eine Sache. Bei Ultrarechten zu veröffentlichen definitiv eine andere. Und man darf neugierig sein, wie der Suhrkamp Verlag reagieren wird, dessen Autor Uwe Tellkamp, deutscher Buchpreisträger des Jahres 2008, ebenfalls in der Loschwitzer Reihe Exil veröffentlicht hat.

Trotzdem ist es nie eine gute Idee, Bücher nicht zu verlegen. Und eine noch schlechtere, eine nahezu achtzigjährige Autorin, der Fischer über vier Jahrzehnte sehr viel zu verdanken hat, wegen einer einmaligen »Kontaktschuld«, wie sie es ironisch nennt, aus dem Verlag zu schmeißen. Monika Maron berichtet telefonisch aus ihrem Landhaus in Mecklenburg-Vorpommern, dass die seit gut einem Jahr amtierende Fischer-Chefin Siv Bublitz sie wie ein »verbocktes Schulkind« über die Tradition des Fischer Verlages habe belehren wollen, auch mittels mitgebrachter Fotokopien zur Verlagsgeschichte. Zu einem Streitgespräch auf Augenhöhe, wie es früher im Verlag üblich war, sei es nicht gekommen. Das Verhältnis zwischen der Autorin, die übrigens jüdisch-polnischer Herkunft ist, und dem Verlag, der »mein Leben und ein Zuhause« war, zerbrach schon im März, nach dem Erscheinen ihres Bandes in der Edition Loschwitz. Ihren neuen Roman Artur Lanz habe der Verlag daraufhin »freudlos und lustlos« betreut. Ein kleines Manuskript über Marons neue Mischlingshündin »Bonny Propeller« habe der Verlag ungelesen abgelehnt, genauso wie jedes weitere Werk. Den in der Fischer-Vorschau angekündigten Essay-Band Was ist eigentlich los? wird Maron nun von sich aus zurückziehen: »Die schmeißen mich raus und schmeißen noch ein Buch hinterher!« Die Atmosphäre im Verlag beschreibt die Autorin als erkaltet und rein geschäftsmäßig.

Der Verlag hat in dieser Affäre in der Tat eine unverhältnismäßige Hartherzigkeit an den Tag gelegt. Die wortkarge Pressemitteilung der Verlagschefin enthielt kein Bedauern, keine Anerkennung, keinen Dank für die jahrzehntelange Zusammenarbeit. Die pressierte Verlagschefin, die für ein Gespräch mit der ZEIT angeblich keine Zeit fand, wird es schwer haben, die literarische Öffentlichkeit von ihrer kompromisslosen Haltung zu überzeugen. Namhafte Autoren kritisieren den Verlag. Durs Grünbein sagt uns: »Es ist ein Schaden entstanden, indem man sich von Monika Maron getrennt hat. Damit liefert man jenen Argumente, die glauben, sie leben in einem Meinungskorridor. Das ist unproduktiv. Wir müssen wieder lernen, über Texte zu reden, nicht über Haltungen.« Thea Dorn schreibt: »Ja, die Autorin hat eine Dummheit begangen, indem sie in diesem Frühjahr einen Band mit Essays in einem rechtsdrehenden Kleinverlag mit dem dreisten Namen Exil veröffentlichte. Dennoch sendet S. Fischer, indem er ›seine‹ Autorin nun ins verlegerische Exil schickt, ein fatales Einschüchterungssignal an alle Autoren: Wehe, ihr wandelt auf Abwegen! Wehe, ihr verstoßt gegen das moralische Reinheitsgebot! Ich frage mich, wie in einem solchen Klima Literatur und Kunst noch gedeihen sollen, wie die immer krassere Polarisierung der Gesellschaft aufgehalten werden soll.«

Und auch Katja Lange-Müller versteht den Rausschmiss der verdienten Autorin nicht: »Argumentative Vielfalt, auch Streit sollten eine Demokratie eigentlich beflügeln, nicht lähmen. Das wissen sicher auch die Entscheidungstragenden beim Verlag, der seiner Autorin keinen weiteren Vertrag mehr anbieten mochte; einer Autorin wohlbemerkt, die mit ihrem ersten, sozialistische Umweltsünden kritisch in den Blick nehmenden Roman Flugasche, der in der DDR nicht erscheinen durfte, eben dort, bei S. Fischer, ein literarisches Exil gefunden hatte. Wer, frage ich mich irritiert und bekümmert, liefert den tatsächlich Rechten und deren Partei, der AfD, der Monika Maron weder angehört noch nahesteht, mehr ›Munition‹, der Literaturverlag S. Fischer oder dessen – nun leider ehemalige – Autorin? Ich wünsche Monika Maron, dass sie bald einen neuen guten Verlag findet, einen, der diese im Wortsinn mutwillige Schriftstellerin und ihr schon immer auf gesellschaftskritische Themen fokussiertes Werk wirklich zu schätzen vermag.«

Offenbar bringt der Generationswechsel, der inzwischen in nahezu allen großen deutschen Verlagshäusern vollzogen ist, nicht nur eine Verjüngung und Popularisierung der Programme, sondern manchmal auch eine Geschäftsmäßigkeit ohne Traditionsgefühl, in der Konflikte über ideologische Gräben hinweg nicht würdig ausgetragen werden. Eine wie Monika Maron, die sich bereit erklärt hat, nicht noch einmal im rechtsradikalen Umfeld zu publizieren, muss man nicht streichen. Mit ihr muss man streiten.

Der S. Fischer Verlag gehört wie die ZEIT zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck

Foto: Jonas Ludwig Walter für DIE ZEIT

Der Verlag habe sie behandelt wie ein »verbocktes Schulkind«, sagt Monika Maron, 79