FLUT UND CORONA

In unserer Natur

Hochwasser und Pandemie veranschaulichen, wie verletzlich der Mensch ist – und dass er sein Leben ändern muss VON BERND ULRICH

Sensationelle Neuigkeiten sind zu vermelden: Es gibt keine Umwelt. Nichts, was den Menschen bloß umgäbe, kein Außen, dem er autonom, souverän oder gar unverletzlich gegenüberstünde. Vielmehr ist der Mensch immer schon Teil der Natur, sie geht über ihn hinweg und durch ihn hindurch, er besteht aus ihr. Ja, tatsächlich.

Just in dieser Woche konnte man das sehen. Da standen Olaf Scholz und Markus Söder im Berchtesgadener Land, um zu besichtigen, was die Naturkatastrophe dort angerichtet hat. Die beiden Politiker trugen bei ihren Auftritten Corona-Masken – um sie herum also die Flut, in ihnen selbst die Antikörper gegen das Virus. Mit Flut und Virus erinnert die Natur unsanft an die menschliche Naturhaftigkeit, selbst an die von Scholz und Söder.

Das Klima lässt sich nicht mit ein paar technischen Neuerungen retten

Und an all das, was die Menschen der Natur antun, bevor sie ihnen etwas antut. Jeder Regen ist Wetter, alle Regen zusammengenommen sind Klima. Jede Krankheit ist Schicksal, alle Krankheiten sind Machwerk. Folgen unserer Lebensweise.

Nun wird viel über Vorbeugung und frühes Warnen geredet. Falsch ist das nicht, bloß wird es wenig helfen, wenn sich das Verständnis von Natur nicht grundlegend ändert. Nehmen wir das Ahrtal, wo die Flut besonders verheerend wütete. Dazu hat Wolfgang Büchs, Biologe und Ahrtal-Spezialist, dem Riffreporter ein Interview gegeben. Er erklärt dort anschaulich, was den Starkregen zur Katastrophe werden ließ.

Da sind zunächst mal die Weinberge, bei denen die Reben nicht horizontal angebaut werden, sondern vertikal, wodurch das Wasser schneller zu Tal fließt. Da sind sodann die Felder, auf denen immer mehr Mais für Stallfutter angebaut wird, der wiederum weit weniger Wasser speichern kann als Grünland. Außerdem wurde in der Region Ahrtal – wie fast überall – der Laubwald durch Fichtenplantagen ersetzt, die ihrerseits das Wasser weitaus schlechter halten können, zumal dann, wenn sie obendrein tot sind. Nicht zu vergessen die permanente Flächenversiegelung und die gewinnträchtige Freigabe gewässernaher Grundstücke zur Bebauung.

Das alles wirkt zusammen, wenn jene durch Klimaerhitzung häufiger werdenden Extremwetter-Ereignisse idyllische Flusstäler zu tödlichen Menschenfallen werden lassen. Nur, was genau wäre hier die Prävention? Weniger Mais fürs Vieh? Dann wird das Fleisch teurer. Die Weinberge umstrukturieren? Dann wird der Wein teurer. Fichtenwälder durch Buchenwälder ersetzen? Dann gibt es erst mal weniger Holz. Flächen nur noch versiegeln, wenn woanders dafür ent-siegelt wird? Das erhöht spürbar die Kosten für den nächsten Baumarkt. NRW ist übrigens das am schlimmsten versiegelte Flächenland, trotzdem werden dort täglich weitere zehn Hektar verplombt. (Damit könnte man doch präventiv aufhören, Herr Laschet, oder?)

Weniger in die Natur eingreifen, schonungsvoller, kenntnisreicher, und einmal keinen Profit daraus ziehen – das ist Prävention.

Es ist ähnlich wie bei Corona auch. Man kann den Wettlauf zwischen Impfstoff und Mutation phasenweise gewinnen, aber vor allem muss die Zoonose eingedämmt, also die noch verbliebene wilde Natur endlich in Ruhe gelassen werden.

Jetzt, nach den Unwettern, wird darüber diskutiert, ob die Kritik an den mangelhaften Warnungen von der Klimakrise ablenken soll oder umgekehrt. Man könnte auch sagen, dass beides zusammen von einer unerwünschten Erkenntnis ablenkt: Es gibt keine Prävention, ohne dass wir unsere Art des naturzerstörerischen Wirtschaftens und Konsumierens gehörig verändern.

Diese Gesellschaft redet sich gerade ein, das Klima lasse sich mit regenerativer Energie und ein paar technischen Neuerungen retten. Aber das stimmt nicht. Noch weniger lässt sich die viel umfassendere Krise im Mensch-Natur-Verhältnis allein durch Wasserstoff beheben, auch können die Folgen kaum durch alte Sirenen oder neue Warn-Apps gebändigt werden. Nein, wir müssen unser Leben ändern: den Weinbau, das Autofahren, den Flächenfraß, das Artensterben, die Landwirtschaft, die Ernährung, den Häuserbau und vieles mehr. Oder wir nehmen die Opfer hin und glauben unbeirrt an die Unerschöpflichkeit der Hilfsfonds für Fluten, Epidemien, sterbende Wälder und, und, und.

Dies ist der erste Klimawahlkampf der Republik, sagt man. Zu ergänzen wäre: und der letzte, der so tun kann, als sei die dramatische ökologische Krise mit dem Klimathema schon erledigt.Was noch geschah: Die Afrikanische Schweinepest hat die Brandenburger Hausschweine befallen.