Eine AfD des Bauens?
Eine AfD des Bauens?
Der Schriftsteller Durs Grünbein und seine Frau, die Schriftstellerin Eva Sichelschmidt, saßen auf dem neuerdings berüchtigten Walter-Benjamin-Platz im Westen Berlins in einem italienischen Restaurant, das sehr gut und sehr teuer ist. Der Kurfürstendamm ist gleich um die Ecke, und unweit des Platzes wohnt auch die Schriftstellerfamilie. Und weil Sichelschmidt und Grünbein den Platz so gut kennen und mögen, waren sie verwundert und verärgert über die Debatte um rechte Architektur, die sich an diesem Platz verewigt haben soll. Rechter Raum? Faschismus? Hier, in ihrer Nachbarschaft?
Zwei strenge neoklassizistische Häuserriegel sind zu sehen, Säulengänge, in der Mitte die Piazza mit dem Restaurantbetrieb, dann noch ein Kiosk, ein Springbrunnen, ansonsten herrscht ziemlich elegante, unbebaute Leere vor. Man ist als Besucher, der noch nie hier war, spontan etwas enttäuscht. Etwas Bombastischeres, Größeres war zu erwarten gewesen, ein Hauch von Germania oder zumindest Jünglinge mit Fackeln, stattdessen dieses fast schon bescheidene Ensemble und das typische Westberliner Publikum mit seinen zu bunt gekleideten Rentnern und herumhängenden Jugendlichen der sozial bessergestellten »Fridays for Future«-Bewegung.
Angestoßen hatte die Auseinandersetzung die debattenlustige Architekturzeitschrift Arch+. Ihre jüngste Ausgabe ist dem Thema »Rechte Räume« in Europa gewidmet, und als deutsches Paradebeispiel fungiert dieser Platz von Hans Kollhoff, der 2001 fertiggestellt wurde und den man für sehr viele Jahre nicht weiter beachtete. Hier, so insinuiert es Arch+, sei der Aufstieg der Populisten architektonisch vorbereitet worden. Kollhoff, der unter anderem am Potsdamer Platz ein Hochhaus im New Yorker Backsteinstil errichtet hat, habe am Walter-Benjamin-Platz gezielt auf Mussolinis Architektur zurückgegriffen und heimlich ein antisemitisches Signal hinterlegt.
Tatsächlich ist in den Boden des Platzes an einer unauffälligen Stelle ein Zitat des amerikanischen Dichters und Mussolini-Verehrers Ezra Pound eingelassen: »Bei Usura«, also bei Wucher, habe »keiner ein Haus von gutem Werkstein«. Kollhoff sagt, er wolle mit dem Zitat auf die zerstörerische Kraft der Investoren hinweisen. Das mag sein, aber der Antikapitalismus von Pound ist von dessen gut belegtem Antisemitismus nicht säuberlich zu trennen. Und dass der Platz nach seiner Vollendung den Namen Walter Benjamins erhielt, den die Nazis in den Suizid getrieben hatten, macht das Pound-Zitat besonders deplatziert. Es erschienen nach dem Angriff von Arch+ wuchtige Artikel, ein Großkonflikt zwischen gläsern-moderner und steinern-konservativer Architektur wurde gefunden und munter debattiert.
Ein faschistischer Ort? Grünbein, 56, der sich auf erstaunliche Weise Jugendliches bewahrt hat, blättert befremdet durch die Zeitschrift, die er eigens mitgebracht hat, und zeigt dann auf die Säulengänge auf dem Platz: »Die strenge Kolonnade gibt es sowohl im antiken Griechenland als auch in Moskau und Washington. Was mir missfällt, ist die gesamte Aufteilung in linke und rechte Räume. Sind sowjetische Plätze linke Räume? Ist das Forum Romanum ein rechter Raum, die Akropolis? Dort finden Sie ja bereits die Kollhoffschen Stilmerkmale.«
Grünbeins Frau erzählt, dass der Platz vor allem von Schülern als Treffpunkt aufgesucht werde, auch ihre Tochter habe hier, an diesem angeblich so kontaminierten Platz, viele Jahre verbracht. Eva Sichelschmidt, die Wert auf feine Gesten legt, setzt ihre Sonnenbrille ab: »Worüber reden wir eigentlich, wenn es um rechte Räume geht: über Faschismus? Über eine AfD des Bauens? Oder über konservative Momente in der Architektur? Ist das schon verwerflich? Oder geht es um Räume, in denen man sich mit der Jogginghose nicht ganz so wohlfühlt?« Auch ihr missfällt die in der Zeitschrift ausgebreitete Indizienkette, die von klassizistischen und anderweitigen historischen Anleihen in Bauwerken schnurstracks zum Vorwurf des Völkischen führt.
Vor einem Jahr fand in Dresden ein denkwürdiger Diskussionsabend statt. Durs Grünbein hatte öffentlich mit seinem Schriftstellerkollegen Uwe Tellkamp über Meinungsfreiheit gestritten – und sich dabei lebhaft gegen neurechte Verschwörungstheorien und das Pegida-Milieu positioniert, was überraschenderweise (andernorts eine abseitige Vorstellung) bei einem großen Teil des Publikum auf Unverständnis stieß. Sosehr Grünbein alles Neurechte verdammt, so wenig kann er mit der populären Tendenz einiger Linker etwas anfangen, völlig neurotisch selbst da Rechtsradikales zu wittern, wo lediglich eine konservative Formensprache am Werk ist. Kollhoff, sagt Grünbein, »orientiert sich eben am friderizianischen, aufgeklärten, harmonisierenden Bauen und am Palladianismus und eben nicht am dekonstruktiven Stil eines Frank Gehry oder Libeskind«.
Eva Sichelschmidt sagt, der Skandal der Berliner Architektur sei nicht der historisierende Stil Kollhoffs, der Skandal seien die billigen Investorenbauten, die Bettenburgen am Hauptbahnhof, die Shoppingmalls. Gegen die habe offenbar niemand etwas.
Und Ezra Pound? Grünbein zieht ein schweres Buch aus seiner Tasche, die Gedichtsammlung The Cantos. Dem Werk ist das Zitat auf dem Platz entnommen. Vor zwei Jahren habe er, Grünbein, den Pound-Satz im Boden entdeckt und sei doch verstört gewesen. Klar, bei Pound sei die Kritik am Wucher nicht ausschließlich antisemitisch konnotiert, er ziehe mit seiner Kapitalismuskritik eine weltgeschichtliche Linie. Zinswucher sei aus Sicht des Dichters eine Dekadenzerscheinung, mit der die Qualität der Bauten sinke. Dass er die Kritik am Finanzkapitalismus »an manchen Stellen forciert mit dem Judentum verbindet, ist natürlich schlimmer Unfug, Pound diskreditiert damit sein Werk«. Und Kollhoff nicht damit seinen Platz? »Wenn Sie in Deutschland einen richtig rechten Raum sehen wollen«, gibt Grünbein zu bedenken, »dann müssen Sie auf die deutsche Autobahn, mit der auf schneidigste Weise die Landschaft durchquert wird.«