Der Schatz von Wolfsberg

In Österreich könnte Lithium abgebaut werden, der wichtigste Rohstoff für Elektroauto-Batterien. Doch erst mal gibt es Streit VON NILS WISCHMEYER Fotos: Michael Rathmayr für DIE ZEIT

Treffen sich ein australischer Bergbauunternehmer, ein Schusswaffenhersteller und mehrere Bürgermeister auf einem Gebirgszug in Österreich. Sagt der Bergbauunternehmer: Hier will ich Rohstoffe fördern. Darauf der Waffenhersteller: Zu Anfang darfst du meine Wege nutzen, doch wenn es ernst wird, nicht mehr. Und die Bürgermeister: Den Dreck wollen wir nicht, aber die Arbeitsplätze könnten wir gut gebrauchen.

Sehr vereinfacht stellt sich so die Lage auf der Koralpe in Österreich dar. Der Rohstoffinvestor ist Tony Sage, ein reicher Australier mit einschlägigen Erfahrungen. Der Waffenhersteller ist Gaston Glock, der gerade sein Herz für den Umweltschutz entdeckt hat. Die Bürgermeister der Orte Wolfsberg und Frantschach-Sankt Gertraud wünschen sich die Arbeitsplätze, doch nicht um jeden Preis. Mehrere Gemeinden bangen um ihr Trinkwasser, das sie von der Koralpe beziehen.

Es sieht nicht so aus, als würden sich alle bald einig sein. Abseits der Öffentlichkeit eskaliert die Situation, sodass inzwischen die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Firma von Glock die Australier vor Gericht zerrt. Den Streit im Grenzgebiet zwischen Kärnten und der Steiermark könnte man als Provinzposse abtun. Doch geht es dabei um die unabhängige Versorgung Europas mit Rohstoffen. Bleibt die Frage: Ist es das wert?

Der Schatz lagert hinter einem eisernen Tor auf mehr als 1000 Meter Höhe, umringt von hohen Tannen und steilen Hängen. Dietrich Wanke, Chef des Bergbauunternehmens European Lithium, schließt auf und stapft in Gummistiefeln voran. Die einzige Lichtquelle im Stollen sind kleine Handlampen. Nach wenigen Metern richtet Wanke den Lichtkegel an die Decke, und zum Vorschein kommt eine glänzende metallhaltige Ader: Lithium.

Das chemisches Element Lithium ist zurzeit sehr begehrt: Es wird gebraucht für Batterien für Mobiltelefone, Laptops und in großer Menge für die Akkus von Elektroautos. Anders gesagt: ohne Lithium keine Energiewende. Weltweit werden Vorkommen von rund 50 Millionen Tonnen vermutet (siehe Grafik). Die größten Reserven gibt es in Argentinien, Bolivien und Chile. Der Abbau ist extrem wasserintensiv, das Wasser dort aber knapp. Problematischer als der Umweltschutz sind teils nur die Arbeitsbedingungen.

Bis 2025 soll sich die Nachfrage nach Lithium fast verdoppeln. Firmen auf der ganzen Welt streiten sich um die Vorräte. Bei Volkswagen, BMW oder Infineon sind sie darauf angewiesen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mahnt: »Die deutsche Industrie tut gut daran, sich ihren Bedarf frühzeitig zu sichern, um nicht in Rückstand und Abhängigkeit zu geraten.«

In Europa ist Lithium rar. Das National Minerals Information Center der USA verortet rund 1,3 Millionen Tonnen in Tschechien, 1 Million Tonnen in Serbien, weitere 400.000 Tonnen in Spanien, rund 180.000 Tonnen in Deutschland, rund 75.000 Tonnen in Österreich. Eine vorläufige Machbarkeitsstudie bescheinigt dem Projekt in Kärnten mehr als 50.000 Tonnen Lithium. Die Australier sprechen von 110.000 Tonnen.

Eine endgültige Machbarkeitsstudie soll dieses Jahr vorliegen, ab 2021 sollen die Lastwagen rollen. 400 Millionen Euro will European Lithium investieren. Der lokale Chef Wanke rechnet bereits: »11.000 Tonnen batteriefähiges Lithium-Hydroxid können wir hier jedes Jahr produzieren. Bei 50 Kilogramm pro Elektroauto können wir Millionen bestücken.«

Doch nicht alle sind begeistert.

Gaston Glock zum Beispiel. Er wurde mit der Glock 17 berühmt und reich, einer kleinen Pistole, bekannt aus vielen Krimis. Seiner Firma, der Glock Gut- und Forstverwaltung, gehören mehrere Hektar Wald und Wege auf dem Hang, auch diejenigen, die zum Lithium-Stollen führen. Jahrzehntelang lag der Stollen still.

Dann kamen die Australier, gründeten European Lithium, und als sie 2011 die Schürfrechte für zehn Millionen Euro kauften, gingen die Zugangsrechte der Vorbesitzer auf sie über. Und Glock ließ sie zunächst gewähren. Für wenige Tausend Euro im Jahr durften die Bergleute zur Mine fahren. Es ist ein lächerlicher Betrag für die Gutsverwaltung.

Seit sich die Bohrer ins Erdreich graben, wächst allerdings die Sorge, dass dort tatsächlich etwas passieren könnte. Glocks Firma schloss sich deshalb mit anderen Grundeigentümern zusammen und focht 2016 die Verträge mit European Lithium an, zog vor ein Schiedsgericht und verlor. Kurz darauf zog Glocks Firma wieder vors Schiedsgericht, Ausgang offen.

Woher Glocks Entschlossenheit kommt, verrät er nicht. Er ist, wie auch European Lithium, über die Verträge zum Schweigen verpflichtet. Nur so viel: Die Statuten seiner Stiftungen, unter die auch die Forstverwaltung fällt, hätten sich geändert, der lokale Umweltschutz sei nun sehr wichtig. Eine Lithium-Produktion kommt da natürlich nicht gelegen.

In Wolfsberg, einer kleinen Gemeinde am Fuß des Berges, steht eine Lagerhalle. Dutzende Kisten mit Bohrkernen sind dort aufgereiht. European- Lithium-Aufsichtsrat Stefan Müller nimmt einen Stein, dreht ihn zwischen den Fingern, hält inne. Das hier ist sein großes Projekt. Er spricht von Hunderten Arbeitsplätzen, die entstehen sollen, eine Aufbereitungsanlage will er bauen, und womöglich könnten sich sogar Batteriehersteller hier ansiedeln. Müller gibt sich große Mühe, das Projekt zu bewerben.

Doch er steht unter Druck, nicht nur wegen Glock. Seit Projektstart findet sich erstaunlich viel über seinen australischen Chef Tony Sage in der österreichischen Presse – meist nichts Gutes. Einige der Unternehmen von Sage seien nicht rentabel, heißt es da. In der Vergangenheit hätten sie sich häufig die Bergbaulizenzen gesichert, aber selten Rohstoffe abgebaut, sondern hätten die Stollen lediglich weiterverkauft. Dann tauchten auch Geschichten auf, wonach in den australischen Medien Tony Sage unter anderem wegen Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit Steueraffären genannt wurde. All das wird hervorgekramt.

Für Aufsichtsrat Müller ist es eine Kampagne. Er weiß: Entscheiden werde nicht die Presse, sondern die Politik – und die Beziehungen dorthin seien gut. Der FPÖ-Abgeordnete Christian Ragger ist praktischerweise der Rechtsanwalt von European Lithium. Dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser durften sie ihr Projekt schon vorstellen. Was der davon hält? Anruf in Klagenfurt. Grundsätzlich sei er offen für ein solches Projekt: »Wenn alle Umweltstandards erfüllt sind, werden wir bei Behördenangelegenheiten unterstützen. Aber ich bin kein Träumer. Bis dahin ist noch sehr viel zu tun.«

Die Lokalpolitiker sind hin- und hergerissen zwischen Umweltschutz und Arbeitsplätzen. Hans-Peter Schlagholz ist Bürgermeister in Wolfsberg. Seine Gemeinde kämpft wie die ganze Region gegen den Wegzug der Jugendlichen. Ein Bergwerk könne der Region helfen. »Die Leute halten wir nur hier, wenn man ihnen auch was bieten kann«, sagt Schlagholz.

Zehn Kilometer weiter empfängt der Bürgermeister von Frantschach-Sankt Gertraud, Günther Vallant. In seiner Gemeinde liegt der Lithiumstollen. Grundsätzlich sei auch er offen gegenüber dem Projekt, der Arbeitsplätze wegen. Doch er hat Bedenken: die Lkw, die den Berg hoch- und runterdonnern, die Umweltbelastung – und dann die Unsicherheit. Er blättert durch eine Mappe von Zeitungsberichten, denen er längst nicht mehr vertraut »Mal waren es 40 Arbeitsplätze, dann 400, dann 1400 – was soll man da noch glauben?«, fragt er. »Irgendwann verkaufen die, und dann dürfen wir uns wieder mit neuen Eigentümern rumschlagen«, fürchtet er.

Und dann gibt es auf der anderen Seite des Berges in der Steiermark noch Josef Wallner, den Bürgermeister von Deutschlandsberg und Vorstand des Wasserverbands Koralm. Er will nichts von Arbeitsplätzen wissen, er hat Angst um sein Wasser. 20.000 Menschen versorgen die Quellen im Gebirgszug. Die seien durch den Bergbau bedroht. »Eine falsche Erschütterung in dem Berg, das Gestein verschiebt sich, und schon versiegt eine unserer Quellen«, sagt er. »Dann sind wir abgeschnitten. Wir können ja nicht Millionen Liter mit dem Lkw rankarren.« Kürzlich sei Öl bei den Probebohrungen ins Erdreich gesickert. Der Wasserverband hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die ermittelt gegen unbekannt. European Lithium spricht von einer kleinen Menge, die nicht der Rede wert sei.

Es ist Mittag in Wolfsberg, Aufsichtsrat Müller läuft von der Lagerhalle zu einem rustikalen Gasthof, lässt sich erschöpft auf eine Eckbank fallen. Angesichts der ganzen Schwierigkeiten, wäre es da nicht einfacher, den Rohstoff aus Südamerika einzuführen? Dann bliebe der Wald von Glock unberührt. Dann wäre das Trinkwasser auf der Koralm nicht gefährdet. Sage oder Müller würden eben woanders bohren. Ohnehin ist die Produktion in Kärnten teuer. In Chile kann man eine Tonne für 2500 Euro abbauen. »Bei uns sind es eher 4500 Euro«, sagt Müller.

Das ist die eine Seite. Die andere sind die Arbeitsplätze, die die Region braucht. Und die Tatsache, dass Europa dann ein klein wenig unabhängiger von anderen Ländern wäre. Müller rollt bereits die ganz großen Pläne aus. »Wir wollen die Ersten mit einer batteriefähigen Lithiumproduktion in Europa sein«, sagt er. Das Ganze sei ein »Leuchtturmprojekt«, eine »einzigartigen Chance« für die Region und Europa.

Die Skeptiker verunsichern ihn nicht. Er sagt: »In Österreich sei man nicht mehr an den Bergbau gewöhnt – und gewissen Zweifel gibt es eigentlich bei jedem vergleichbaren Projekt in der Welt. Es dauert halt, bis alle kritischen Fragen beantwortet und somit die Vorteile verstanden und auch akzeptiert werden.« So sieht er das und lässt sich nicht beirren.

Mitarbeiter von European Lithium (oben links) in der Mine in Kärnten, mit deren Vorkommen Dietrich Wanke (unten links) große Pläne hat

Lithium ist ein chemisches Element. Es wird gebraucht für wiederaufladbare Batterien, etwa in Elektroautos, Mobiltelefonen und Laptops