Wer zu viel Dampf macht, zementiert die Verhältnisse

Sinnfrei unterhaltsam: Die Zukunftsschau »Futura« in der Hamburger Kunsthalle  VON ULRICH STOCK

Beim Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit sieht es für die Zukunft in Deutschland aktuell nicht gut aus. Sie macht sich trotz einer verjüngten, den Aufbruch beschwörenden Regierung rar; zu viele Krisen trüben die Hoffnung. Das schwierige Jetzt zieht sich hin im Takt der Inzidenzen. Sein Ende scheint in weiter Ferne zu liegen.

So ist eine Ausstellung, die sich Futura nennt, hochwillkommen. Die ambitionierte Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle wendet sich der Zukunft zu – welch ein Versprechen.

Und was für eine Enttäuschung. Denn wie kann die Kunst heute nach vorne blicken, ohne die Fragen, die uns bedrängen, anzusprechen? Die Schau, die anderthalb Etagen im Ungersschen Quadratbau am Hauptbahnhof einnimmt, klammert nahezu alles aus, was derzeit politisch und gesellschaftlich anliegt. Kein Gender, kein Windrad, kein Putin, kein Brexit, keine Vergreisung und RNA schon mal gar nicht.

Die »Zukunft als Denkform«, wie sie die Kuratoren Bogomir Ecker und Brigitte Kölle hier in vielen neuen und vielen historischen Werken präsentieren, ähnelt mehr einem auf Effekt getrimmten physikalischen Kabinett als einem Ideenatelier des 21. oder 22. Jahrhunderts.

Da gibt es von Attila Csörgő die sechs Papierbälle, die von sechs Ventilatoren in der Schwebe gehalten werden. Unberechenbar tanzen sie in der Luft, ohne je abzustürzen; man kennt Ähnliches aus dem Varieté, immer wieder schön. Je runder ein Papierball, desto gleichförmiger sein Flug. Was sagt uns das? Stromlinie sorgt für Ruhe im Karton? Möglichst wenig Angriffsfläche bieten, um nicht unterzugehen? Na, das wäre ein wenig platt. Man könnte stattdessen einfach feststellen: Es sagt uns gar nichts. Ähnliches gilt für das Perpetuum Mobile der Nina Canell, die einen Ultraschallgenerator in eine mit Wasser gefüllte Schüssel gelegt hat. Die für den Menschen unhörbaren Impulse versetzen die Moleküle in solche Schwingung, dass Schwaden aufsteigen und über den Rand der Schüssel schwappen, einen benachbarten Zementsack einnebelnd. Die Feuchtigkeit lässt den Baustoff fest werden, bevor er seinen Zweck erfüllen kann. Der Nebel sieht fantastisch aus, gespinstartig, wie Zuckerwatte auf dem Hamburger Dom. Nur was wäre seine Botschaft: Wer zu viel Dampf macht, zementiert die Verhältnisse?

Es gibt einige solcher Exponate, und es ist kein Zufall, dass die Schau eine Schlagseite zum stofflich Prozesshaften hin hat statt zum immateriell Projektierten, denn der Co-Kurator Bogomir Ecker ist der Künstler, dem die Galerie der Gegenwart ihre Tropfsteinmaschine verdankt. Das ist jene das Gebäude vom Dach bis zum Keller durchziehende Apparatur, die aus der Regenrinne einen Wassertank befüllt, eine Grünpflanze im Erdgeschoss feucht hält und unterirdisch in einer auf 500 Jahre angelegten Verkalkung einen am Ende fünf Zentimeter hohen Stalagmiten errichten soll. Seit 25 Jahren tropft es nun alle paar Minuten, viel zu sehen ist bisher nicht, anders als im Haus mit seinen vielen Ausstellungen. Aber das Doppeljubiläum von Galerie und Maschine sollte gefeiert werden, deshalb die aktuelle Schau, die noch bis zum 10. April laufen wird.

Im Beiprogramm gibt es eine Gesprächsreihe mit Fridays for Future, sodass ein bisschen heiße Gegenwart doch noch drin oder wenigstens dran ist. Aber ob ein angehefteter Diskurs die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema ersetzen kann?

Bei aller konzeptionellen Schwäche ist Futura recht unterhaltsam. Da gibt es das kilometerlange Hanfgarn, das Jens Risch in tausendstündiger Arbeit zu hirnartigen Gebilden siebenfach handverknotet hat. Da gibt es den von Daniel Janik entworfenen Prototyp zur Rückführung von Himmelskörpern, eine hölzern-gläserne Riesenröhre, die es dem Weltraum und seinem Meteoritenhagel mal heimzahlen will. Da hat Monika Grzymala mit einem silbernen Klebebanddickicht eine vierdimensionale Raumzeitecke so irisierend gestaltet, dass der Blick gar keinen Halt mehr findet.

Und da sind die matschig patinierten Klumpen, die Axel Loytved gewonnen hat, indem er unter Kotflügeln klebende Schneebrocken losklopfte, abformte und in Bronze goss.

Kotflügel? Schnee? Die Ausstellung müsste in 25 Jahren wiederholt werden. Die Zukünftigen würden Augen machen.

Foto: Fred Dott/VG Bild-Kunst, Bonn 2022

»Prototyp zur Rückführung von Himmelskörpern« von Daniel Janik (2022)