TITELTHEMA: DIE BÜCHER DER FRAUEN

Frauen im Schatten

Alles sollte anders werden. Doch die goldenen Aufbruchsjahre der Literatur waren ein Desaster. Von Iris Radisch

Zwei Jahre nach dem letzten Weltkrieg trafen sich zwölf Herren, die noch niemand kannte, an einem See. Die meisten waren Anfang bis Mitte dreißig, frisch aus den Schützengräben zurückgekehrt. Man las einander aus den eigenen noch unveröffentlichten Texten vor, übte Werkstattkritik, wollte die Literatur neu erfinden. Die Gastgeberin im Haus am Bannwaldsee, eine grazile Lyrikerin und Ethnologin, fischte früh am Morgen zwar keinen Butt, aber Hechte und Barsche im Dienst der jungen deutschen Literatur. Es war der 6. September 1947. Es sollte ein Neuanfang sein.

Manche der zwölf Herren vom Bannwaldsee mögen heute vergessen sein. Auch an die Gastgeberin Ilse Schneider-Lengyel erinnert sich kaum noch jemand – sie starb 1972 im psychiatrischen Landeskrankenhaus Reichenau, überliefert sind von ihr die Verse »das wort ist ein unerklärliches geräusch / krank wurde der mensch daran«. Doch an der Gruppe, die 1947 in ihrem Haus am See gegründet wurde, kam bald niemand mehr vorbei, der in Deutschland Bücher schrieb. Sie wurde auf Jahrzehnte zum maßgeblichen Gerichtshof über literarische Karrieren. Wer sich Gedanken darüber macht, warum es in Deutschland nach dem Einbruch, den das »Dritte Reich« für die Literatur der Frauen bedeutet hat, so lange keine Simone de Beauvoir, keine Marguerite Duras, keine Françoise Sagan, keine Anaïs Nin, keine Annie Ernaux gegeben hat, sollte sich die Bilder und die Fernsehdokumentationen der Tagungen der Gruppe 47 ansehen.

In der ersten Reihe, dicht gedrängt, saß die erste Riege der deutschen Kritiker: Prof. Hans Mayer, Prof. Walter Höllerer, Prof. Walter Jens, Marcel Reich-Ranicki, Reinhard Baumgart, Joachim Kaiser. In der zweiten und dritten Reihe die Stars der jungen Literaturnation, Günter Grass, Peter Weiss, Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Alfred Andersch, Heinrich Böll, Erich Fried – ein Meer von Männerköpfen. Dunkle Anzüge mit Schnauzbart und dunkle Anzüge ohne Schnauzbart. An der Spitze: Hans Werner Richter, ein gelernter Buchhändler und ehemaliger Wehrmachtssoldat, der nach eigenem Belieben per Postkarte die Eintrittsbilletts für seinen Herrenclub verschickte. Die Karten gingen in den zwanzig Jahren, in denen die Gruppe zusammenkam, an 190 Autoren und 19 Autorinnen. Sie waren die Zukunft. Die Überlebenden eines unbeschreiblichen Desasters, dessen intellektuelle Mitverursacher noch lange nicht verschwunden waren.

»Jedes vorgelesene Wort«, erinnerte sich der Gruppenleiter später, »wird gewogen, ob es noch verwendbar ist oder vielleicht veraltet, verbraucht in den Jahren der Diktatur, der Zeit der großen Sprachabnutzung. Jeder Satz wird, wie man sagt, abgeklopft. Jeder unnötige Schnörkel wird gerügt.«

In der Debatte um weibliche Kunst fehlt ein Wort: Verachtung

Die Sanierungsarbeiten an der deutschen Literatur schienen so umfassend, dass nachträglich von einer »Stunde null« des Schreibens in Deutschland gesprochen wurde, von einem »Kahlschlag«. Dabei waren die Kontinuitäten unübersehbar: Es ist nicht überliefert, dass in den Gruppendiskussionen, in denen die Sprechweisen der kommenden Literatenrepublik erprobt, Kriterien verhandelt, Schreibpotenz demonstriert oder Beschreibungsimpotenz moniert und über die Neuausrichtung der Gegenwartsliteratur entschieden wurde, jemals eine Frau das Wort ergriffen hätte. Die erste Anthologie der jungen deutschen Nachkriegsliteratur, die Hans Werner Richter 1947 herausgab, hieß in Erwartung des Kommenden: Deine Söhne, Europa.

Viele Versäumnisse und Fehler der legendären Gruppe sind rückblickend beklagt worden. Etwa die antisemitischen Anflüge Hans Werner Richters, der dem Holocaust-Überlebenden Paul Celan vorhielt, seine Todesfuge im Goebbels-Stil deklamiert zu haben. Oder das Schweigen über die NS-Vergangenheit prominenter Mitglieder, deren Ausmaß erst nachträglich deutlich wurde – durch spät eingestandene oder aufgedeckte NSDAP- und SS-Mitgliedschaften. Dass der Club, der die deutsche Nachkriegsliteratur, die deutsche Literaturkritik und den deutschen Literaturbetrieb neu erfunden hat, Frauen nicht nur ausschloss, sondern verachtete, wie die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sagt (»Mir fehlt in der Debatte um weibliche Kunst und Weiblichkeit im Öffentlichen immer ein einziges Wort: Verachtung«), ist selten bemerkt worden. »Beschweren Sie sich beim Patriarchat«, witzelte Hans Magnus Enzensberger, falls jemand auf die Idee kam, das Normale nicht für normal zu halten.

Wie konnte das passieren? Schrieben die Frauen denn schlechter als die Männer? Oder anders? Aus einem weniger attraktiven Blickwinkel? »Einen ermäßigten Tarif wegen Geschlechtszugehörigkeit« dürfe es keinesfalls geben – so Marcel Reich-Ranicki, der als Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, als Erfinder des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs und des Literarischen Quartetts über den Zentralschlüssel für literarische Karrieren in der Bundesrepublik verfügte.

Man kann darüber streiten, wann genau der Literaturbetrieb sich davon erholt hat. Unbestritten ist, dass die Netzwerke der Gruppe 47 das literarische Leben in Deutschland für viele Jahrzehnte beherrscht haben, dass ihre Kritiker und ihre Autoren die unumschränkte Lufthoheit über die ästhetischen und literaturpolitischen Debatten hatten. Im Aufhebens, das um Uwe Tellkamp und seinen gescheiterten Versuch eines großen Deutschland-Romans in diesen Tagen entfacht wurde, glimmt noch ein Funken der epochalen gesellschaftspolitischen Bedeutung nach, die den literarischen Weltentwürfen dieser Schulbuchautorenmannschaft zukam – in den entscheidenden Aufbruchsjahren der Republik, in denen alles anders werden sollte und doch so vieles gleich blieb.

Dass das Überangebot maskuliner Deutungsmacht damals kaum bemerkt und innerhalb der Gruppe 47 nie korrigiert wurde, mag an der Strahlkraft der beiden jungen Frauen gelegen haben, die vor diesem Tribunal unumschränkt Gnade fanden: dem ersten deutschen Fräuleinwunder der deutschen Nachkriegsliteratur in Gestalt der beiden österreichischen Freundinnen Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann, die im Alter von 30 respektive 27 Jahren den Preis der Gruppe 47 erhielten.

Ilse Aichinger hatte drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ihren einzigen Roman Die größere Hoffnung veröffentlicht. Den Preis erhielt sie für die Spiegelgeschichte, in der, zum ersten Mal in der deutschsprachigen Literatur, vom Tod einer jungen Frau nach einer verpfuschten Abtreibung erzählt wurde. Bedauerlicherweise hat Ilse Aichinger nach ihrer Heirat mit dem Lyriker Günter Eich und der Geburt der beiden gemeinsamen Kinder nie wieder ein größeres Prosawerk verfasst. Die Sprache, rechtfertigte sie sich, sei zu zersplittert. Sie wolle nicht wie die meisten »rasch, unaufmerksam und chronologisch« vor sich hin schreiben. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie am liebsten im Dunkel der Kinosäle. »Das Kino«, sagte sie, »ist eine Form des Verschwindens. Man taucht ein, man ist unsichtbar.«

Mit ihrer Leidenschaft für das Verschwinden wurde die erste Preisträgerin der Gruppe 47 zur Pionierin einer weiblichen Massenflucht aus dem öffentlichen Raum. Während Günter Grass sich in späteren Jahren in Lübeck ein eigenes Museum schuf und Martin Walser mit seinen Reden und Romanen ganze Serien von Literaturdebatten auslöste, zogen sich Ilse Aichinger in die Dunkelheit der Kinos, Friederike Mayröcker in die Zettelgebirge in ihrer Wohnung, Helga M. Novak in die Einsamkeit der polnischen Wälder und Sarah Kirsch in ihr windgeschütteltes Landhaus hinterm Deich in Schleswig-Holstein zurück, vermied Elfriede Jelinek jeden öffentlichen Auftritt, selbst den am Königshof von Stockholm zur Literaturnobelpreisverleihung. Sogar Judith Hermann hat sich inzwischen weitgehend in eine Art inneres Exil an der friesischen Küste zurückgezogen, um, wie sie Sarah Kirsch zitierend sagt, »dem Gehabe zu entkommen«. Das Von-der-Welt-abgetrennt-Sein, das Kranksein, das Bei-lebendigem-Leib-begraben-Sein, das Vereinsamen, das Verbrennen, das Verschwinden und Zerstörtwerden der Frau gehörte in all diesen Jahren zum bevorzugten Schreibgebiet der wichtigsten und bedeutendsten Autorinnen Deutschlands.

Ingeborg Bachmann erhielt den Preis der Gruppe 47 in Elmau 1952 für ihre Lyrik und landete ein Jahr später durch die Vermittlung ihres 45-jährigen Förderers und Geliebten Hans Weigel mit coolem Kurzhaarschnitt und verträumtem Blick auf dem Cover des Spiegels. Obwohl Bachmann heute als geschickte Strategin im männlichen Kulturkampf beschrieben wird, entzückte die 27-jährige Dichterin und Doktorandin der Philosophie die Herren Preisrichter damals vor allem mit der Inszenierung weiblicher Schutzbedürftigkeit, mit zahllosen zu Boden segelnden Manuskriptblättern und Taschentüchern, mit ihren Tränenströmen und einer Rundum-Zerbrechlichkeit, wie sie in den 1950er-Jahren nach allgemein geltender Auffassung einer attraktiven jungen Frau zukam.

Die tödliche Bedrohung der Frau durch das männliche Weltprinzip

Das alles änderte sich schlagartig, als Ingeborg Bachmann nach der Trennung von dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch an ihrem großen Prosazyklus über weibliche »Todesarten« schrieb, in dem es um nichts Geringeres als die tödliche Bedrohung der Frauen durch das männliche Weltprinzip geht. Ihre Gedichte, sagte die Bachmann, habe man »zu Tode gelobt«. Ihr Roman Malina, der 1971 veröffentlichte erste Teil des »Todesarten«-Projekts, stieß auf vehemente Ablehnung. Marcel Reich-Ranicki sprach abfällig von »backfischhafter Überspanntheit«, Helmut Heißenbüttel gönnerhaft vom »Roman einer schönen Seele«. Die großen Frauengestalten der Weltliteratur, die Gretchen und Käthchen, die Emmas und Annas, die Ophelias und Penthesileas entsprachen alle von Kopf bis Fuß männlichen Phantasmen. Jetzt machten Frauen ihren Körper, ihre Leidenschaft, das Unlebbare ihres Frauenlebens selbst zum Thema. Der Feminismus bestätigte sie darin, nach einer besonders risikoreichen, noch nicht durch die männliche Kultur vorgeformten Schreibweise zu suchen. Das war Neuland. Schritte auf frischem Schnee. Es ist keiner gut bekommen.

»Ich pflege auf dieser Wellenlinie nicht zu empfangen« – war die Standardantwort, wenn ich in späteren Jahren einen der Veteranen der Gruppe 47 dazu überreden wollte, eine deutschsprachige Autorin für die ZEIT zu besprechen. Natürlich gab es Ausnahmen – Rolf Michaelis’ und Fritz J. Raddatz’ Elogen über Sarah Kirsch, Reinhard Baumgarts Begeisterung für Brigitte Kronauer, Peter Hamms Hymne auf Anne Weber –, aber das blieben Ausnahmen. Die wichtigste deutsche Literaturauszeichnung, den seit 1923 vergebenen Georg-Büchner-Preis, erhielten bis zur Jahrtausendwende sieben Frauen. Und der Frauenfreund Marcel Reich-Ranicki (»Wen interessiert, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert?«) äußerte sich nur unwillig und herabsetzend über die beiden deutschsprachigen Literaturnobelpreisträgerinnen Herta Müller (»Wer war das? War das Literatur?«) und Elfriede Jelinek (»hat mich nie sehr interessiert«) – zwei grandiose Virtuosinnen in der Orchestrierung weiblicher Ohnmacht und sprachmächtiger Wut, die beide als Romanautorinnen seit Langem verstummt sind (Jelineks letzter Roman Neid erschien 2008 auf ihrer Homepage).

Im weiblichen Abseits wurde es schnell reichlich eng. Wer erinnert sich an Unica Zürn, Inge Müller oder Gisela Elsner? Drei Nachkriegsautorinnen von ungewöhnlicher Unangepasstheit, die dem Traum und der existenziellen Verunsicherung im Leben der Frauen Sprache verliehen, bevor sie ihrem Leben selbst ein Ende setzten. Wer an die großartige Libuše Moníková, an Brigitte Reimann oder Irmtraud Morgner? Drei Pionierinnen einer kraftvollen weiblichen Epik, die über weibliche Gewalterfahrungen, über innere und äußere Beschädigung, über Misshandlung und Vergewaltigung schrieben, bevor sie viel zu früh dem Krebs zum Opfer fielen. Oder an die außergewöhnliche Undine Gruenter, die mitten im Leben an einer seltenen Erkrankung des Nervensystems starb? Nahezu ganz vergessen ist die eigenwillige feministische Dichterin und Romanautorin Christa Reinig, die die »Weiber-Weltformel« des deutschen Nachkriegslebens in dem Dreisatz »Irrenhaus, Krankenhaus, Zuchthaus« zusammenfasste. Und selbst Spezialisten wissen heute kaum noch, dass die Lyrikerin Helga M. Novak, die lebenslang unter dem Gefühl der Unbehaustheit, des Misstrauens und der Unsicherheit litt und der Welt nach ihrem Rausschmiss aus der DDR abhandenkam, ein dreibändiges autofiktionales Werk hinterlassen hat, in dem sie auf eine ungeschützte und bewundernswerte Weise von der Zerrissenheit eines Frauenlebens erzählt hat. Was Wolf Biermann 1979 über Helga M. Novak schrieb, gilt rückblickend für die missglückte Kanonisierung der Frauenliteratur in den Aufbruchsjahren der Bundesrepublik: »Diese Dichterin ist schlimmer als nur verkannt und ist schlimmer als nur vergessen. Sie blieb einfach unbemerkt.«

Wer sich für die Bibliothek der vergessenen deutschsprachigen Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit interessiert, lese das 1987 erschienene Buch Die Stimme der Medusa. Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen von Sigrid Weigel: Die wenigsten der darin erwähnten Romane werden je eine zweite Chance erhalten. Man mag einwenden, dass es für die ostdeutschen Autorinnen Monika Maron, Elke Erb, Sarah Kirsch, Christa Wolf und Helga Schubert bedeutend besser lief mit der Schutzpatronin Anna Seghers als Präsidentin des DDR-Schriftstellerverbandes über ihren Häuptern – doch nur, solange sie vor den Parteigenossen Gnade fanden. Die überwältigende Mehrzahl der bedeutenden und ästhetisch radikalen Autorinnen der Bundesrepublik hat nicht einmal eine »ermäßigte« Eintrittskarte für das literarische Langzeitgedächtnis erhalten.

Das liegt bestimmt nicht nur an den beträchtlichen Selbstzerstörungskräften dieser Autorinnen, an den fehlenden Vorbildern oder an der langen Geschichte der weiblichen Geschichtslosigkeit. Und auch nicht daran, dass die Bücher der Frauen in den Buchläden in der Frauenliteraturecke landeten, dass sie in Nischenverlage wie Frauenoffensive oder ins Ghetto von Buchreihen wie »Die Frau in der Gesellschaft« oder »die neue frau« abgedrängt wurden – als könne es weibliche Literatur nur im Sicherheitstrakt abseits der echten Männerliteratur geben, als eine Art literarischen Frauenfußball. Selbst der Sexismus der beiden Schlüsselfiguren Marcel Reich-Ranicki und Hans Werner Richter, deren dreiste Kommentierung der Brüste und Geschlechtsteile ihrer Kolleginnen zu den besonders niederschmetternden Erinnerungen an das goldene Zeitalter der Literaturpäpsterei gehören, ist nicht allein für diese Tragödie zuständig.

»Der Mordschauplatz« (Ingeborg Bachmann) namens Patriarchat war ja kein exklusives Problem des Literaturbetriebs. In den Jahren, in denen Günter Grass seinen Butt und Martin Walser seine Ehen in Philippsburg schrieben und die Gruppe 47 tagte, war den Ehefrauen in der Bundesrepublik ohne die Zustimmung ihrer Männer weder das Recht auf freie Wohnortwahl noch auf einen Führerschein oder ein eigenes Bankkonto gewährt. Man muss sich immer wieder daran erinnern, auch wenn es wie ein Amnesty-International-Bericht aus einem weit entfernten Schurkenstaat klingt: Bis 1977 durften Frauen in Deutschland nur mit der Erlaubnis ihres Mannes arbeiten, und bis zum Jahr 1997 waren sie in der Ehe nicht vor Vergewaltigung geschützt.

Dass ein weiblicher Kanon unter diesen Bedingungen einfach »vergessen« wurde wie eine Zigarettenpackung, die man versehentlich auf dem Tisch liegen ließ, ist nicht möglich. Das Wort »vergessen«, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert in ihrer Untersuchung Frauenliteratur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt, »ist in diesem Zusammenhang ein Euphemismus, denn tatsächlich geht es nicht um etwas Passives, nicht um etwas, das dem Literaturbetrieb unbewusst unterliefe. Tatsächlich sind es aktive Entscheidungen, ein Werk nicht zu lesen, es nicht zu besprechen, es nicht neu aufzulegen, es nicht zu lehren und es nicht in Kanonaufstellungen aufzunehmen. Es ist ein Akt des Unterlassens, des Ignorierens, der in jedem Fall eine Nichtwürdigung darstellt.«

Für die Jüngeren mag sich das alles wie eine Sage aus irgendeiner versunkenen Antike ausnehmen. Als der Spiegel im Jahr 1999 eine Zweitauflage des »literarischen Fräuleinwunders« ausrief und mit dieser leutseligen Unterwerfungsfloskel die »fotogenen Jungautorinnen« Karen Duve, Judith Hermann, Zoe Jenny und die vor Kurzem verstorbene Birgit Vanderbeke meinte, war das der letztmögliche Zeitpunkt, an dem man die angeblich unterlegene, Manuskripte und Taschentücher verstreuende Hälfte der Menschheit noch einmal »zu Tode loben« konnte – bevor das Literaturpatriarchat zusammen mit seinem Jahrhundert in den Tiefen der Zeit verschwand.

Foto: Felicitas/Interfoto

Wir beschreiben in zwei Texten die frühe Zeit der deutschen Nachkriegsliteratur und die neuere Vergangenheit. Ingeborg Bachmann (links), 1926–1973, war der einzige weibliche Star der frühen Jahre. Juli Zeh (rechts), 47, ist die Protagonistin von heute

Foto: Renate von Mangoldt

Da waren die Männer noch unter sich: Als die Gruppe 47 1966 nach Princeton eingeladen wurde, sieht man hier ja, wer so gekommen war, um sich der Welt zu zeigen ...

Foto: bpk / Digne Meller Marcovicz Foto: Isolde Ohlbaum/laif

»Sie lassen dich allein. So allein lassen sie dich, dass du die Augen aufschlägst und den grünen Himmel siehst«Ilse Aichinger, »Spiegelgeschichte«