Wo ist das Leuchtfeuer der Hoffnung?

Ein Gespräch mit der 31-jährigen Klimaforscherin Hannah Ritchie, die Unmengen von Daten auswertet und uns mit Optimismus und guten Nachrichten überrascht

Wo ist das Leuchtfeuer der Hoffnung?

Ein Gespräch mit der 31-jährigen Klimaforscherin Hannah Ritchie, die Unmengen von Daten auswertet und uns mit Optimismus und guten Nachrichten überrascht

DIE ZEIT: Versuchen wir zuerst, in der Düsternis der Weltlage etwas Licht zu machen. Ihr Denken basiert auf Unmengen von Daten, die Sie auswerten, Sie liefern also Realität satt. Gibt es gute Nachrichten aus Ihrer allerjüngsten Forschung?

Hannah Ritchie: Zu den allerjüngsten guten Nachrichten aus der Umweltforschung zählt, dass die Abholzung der Amazonas-Regenwälder deutlich abnimmt, seitdem Präsident Lula da Silva an der Regierung ist. Wir unterschätzen gern, wie weit wir es gebracht haben mit dem Wohlbefinden der Menschen auf diesem Globus. Man muss nur einen Schritt von den Tagesnachrichten zurücktreten, dann sieht man es: Es geht uns gut. Mein Paradebeispiel: Im Jahr meiner Geburt, 1993, sind fast zwölf Millionen Kinder gestorben, bevor sie fünf Jahre alt waren. Diese Zahl hat sich bis heute mehr als halbiert. Ähnlich stark sind Muttersterblichkeit, Hunger und Armut gesunken. Und selbst in den ärmsten Ländern der Welt ist die Lebenserwartung erheblich gestiegen.

ZEIT: Noch vor ein paar Jahren dachten Sie, Sie hätten wegen des Klimawandels keine Zukunft. Wie sieht es jetzt, im Winter 2024, aus?

Ritchie: Ich bin heute in Sachen Klimawandel viel optimistischer als vor zehn Jahren. Das liegt daran, dass wir damals noch von der Wahrscheinlichkeit ausgehen mussten, dass sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um drei bis vier Grad erhitzt. Heute geht man von höchstens zweieinhalb bis drei Grad aus, falls wir auf unserem bisherigen Pfad bleiben. Natürlich ist das immer noch dramatisch. Aber mir kommt es darauf an, dass wir die Prognose in kurzer Zeit realistisch um ein Grad senken konnten. Sonne, Wind und Batterien waren vor zehn Jahren einfach zu teuer im Vergleich mit den fossilen Energien. Die Preise der Erneuerbaren sind seither im Sturzflug.

ZEIT: Ein Satz von Ihnen macht die Runde, er heißt: »Es gab noch nie eine bessere Zeit, um zu leben.« Das ist eher überraschend angesichts von Klimawandel, Artensterben, Krieg, Pandemie, Terror und – Trump. Haben Sie keine Angst, dass Ihr schöner Satz den Klimaleugnern in der neuen US-Regierung in die Hände fällt?

Ritchie: Nein. Der Satz hat einen Kontext. Ich betone den Fortschritt ebenso wie den langen Weg, der noch vor uns liegt, um aus der heutigen Ungleichheit herauszufinden. Eine knappe Milliarde Menschen hungert ja noch. Mir geht es um diesen Dreiklang: Die Welt ist heute besser denn je, sie ist immer noch schrecklich, und sie kann weiterhin besser werden. Einen einzelnen Satz kann man aus diesem Trio nicht einfach herauslösen.

ZEIT: Sie sind so zu einem Leuchtfeuer der Hoffnung für die jungen Verzweifelten geworden und sagen, dass Sie nicht die letzte Generation sind, sondern die erste ... Die erste, die was genau tut?

Ritchie: Um es klar zu sagen: Wir haben die Möglichkeit, die erste Generation zu werden. Das ist etwas anderes als die Feststellung, es bereits zu sein. Wir können einem jeden Menschen ein gutes Leben ermöglichen, ohne den Planeten zu zerstören. Wir können also den zukünftigen Menschen ebenso ein gutes Leben ermöglichen wie den heutigen. Bisher waren das zwei unvereinbare Ziele: Man konnte entweder das gute Leben oder das Bewahren des Planeten anstreben. Das ist heute anders. Noch in den Neunzigerjahren gab es keine Alternative zu den fossilen Energien. Wir halten diese Alternative mit den Erneuerbaren seit kurzer Zeit in den Händen. Das Dilemma zwischen Armut und Erderwärmung auflösen zu können, ist historisch ein Novum.

ZEIT: Was ist das, ein gutes Leben?

Ritchie: Darum tobt natürlich ein Streit. Aber die meisten der Streitenden sind sich einig, dass zu einem guten Leben der Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung, zu sauberem Wasser, zu Nahrung, Energie und Elektrizität gehört, und natürlich gehören Wahlfreiheiten dazu.

ZEIT: Viele Ihrer Sätze beginnen so: »Es ist erst ein paar Jahre her, seit ...« Und dann kommen Sie mit einer überraschenden Zahl daher, die eine Entwicklung zum Guten kennzeichnet. Zum Beispiel: Noch im Jahr 2000 hatten nur 60 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zu sauberem Wasser, heute sind es 75 Prozent. Oder: In den Neunzigerjahren kostete eine Batterie für ein Elektroauto rund eine Million Dollar. Jetzt sind es nur noch gut 5.000 Dollar. Was könnten in ein paar Jahren die nächsten überraschenden Fakten sein?

Ritchie: Die nächste gute Nachricht wird sein, dass wir den Peak der globalen CO₂-Emissionen bald erreicht haben werden. Die Fachleute sind sich nicht einig, ob das in diesem oder im nächsten Jahr geschieht. Aber es geschieht wahrscheinlich bald. Noch steigen die Emissionen, aber sie steigen schon stark verlangsamt. Zu dieser Geschichte trägt die rasant schnelle Entwicklung grüner Energie in China maßgeblich bei. Sie vollzieht sich noch deutlich schneller als erwartet. Wenn China peakt, dann bedeutet das für die Erde die Wende.

ZEIT: Warum ist mehr darüber zu lesen, dass China dauernd neue Kohlekraftwerke baut und Weltrekordemissionen ausstößt, als dass Ihre Perspektive gestärkt wird?

Ritchie: Die schlechten Nachrichten sind meistens mit punktuellen Katastrophen verbunden, die die Aufmerksamkeit binden, und nicht mit den langfristigen, stetigen Entwicklungen, die sich hinter der Bühne vollziehen. Jeden einzelnen Tag seit 25 Jahren hätten die Zeitungen mit der Headline aufmachen können, dass am heutigen Tag wieder 128.000 Menschen weniger an Hunger sterben als am gestrigen Tag. Aber so funktionieren Nachrichten nun mal nicht. Auch ich musste erst von dem schwedischen Gesundheitsexperten Hans Rosling lernen, dass wir mithilfe der historischen Statistik die reale historische Welt und mit ihr unsere Gegenwart wirklichkeitsnäher zu beschreiben lernen können. Das hat mein Leben gründlich verändert.

ZEIT: Die Welt erstickt an Datenmüll. Sie müssen täglich eine Auswahl treffen. Welche Datensätze sind für Sie von nun an besonders wichtig?

Ritchie: Mich wird die Energiefrage am meisten interessieren, also das Wettrennen zwischen den Erneuerbaren und den Fossilen. Aber diese Daten interessieren mich nicht an sich, sondern in Verbindung mit den Daten zum menschlichen Wohlergehen. Welche Wechselwirkungen gibt es mit Hunger, Gesundheitsversorgung, Flucht und den Todesfällen durch Naturkatastrophen? Konkret: Die CO₂-Emissionen sind für mich nicht nur wegen der Erderwärmung eine Katastrophe, sondern weil an der Luftverschmutzung jährlich geschätzte sechs bis acht Millionen Menschen sterben. Und ich will mich damit befassen, kursierende Halbwahrheiten zu überprüfen, etwa die Frage, ob wir genug Mineralien haben. Sie treibt viele Skeptiker um. Ich denke, langfristig reicht es, aber die kurzfristigen Engpässe sind herausfordernd.

ZEIT: Das ist für mich ein Rätsel: Statistiken zeigen uns, in welcher Welt wir leben, aber sie zeigen uns nicht, welchen Weg wir einschlagen sollen. Woher nehmen Sie also den Kompass?

Ritchie: Aus unseren Daten gewinnen wir nur ein Bild der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Zukunft können wir bloß in Projektionen darstellen. Aber die Richtung ist klar: Wir wollen den Klimawandel einhegen und die Luftverschmutzung durch die fossilen Energien begrenzen.

ZEIT: So klar ist dieser Kompass aber nicht. Vielen ist der Klimawandel egal.

Ritchie: Wieder so eine Annahme, die von der Datenlage nicht gedeckt ist. Jahr für Jahr belegen die Umfragen: In jedem Land der Welt ist für eine große Mehrheit der Menschen der Klimawandel von erheblicher Bedeutung, in den meisten Ländern sind es 70 bis 80 Prozent, die in Sorge sind und handeln möchten. Die übrigen 20 bis 30 Prozent, denen der Klimawandel egal ist, sind nicht zu überzeugen. Sie sind nicht mein Publikum. Mir ist die überwältigend große Mehrheit wichtiger.

ZEIT: Was ist der effektivste Ansatz?

Ritchie: Unabhängig davon, wie Menschen über den Klimawandel denken, müssen wir dafür sorgen, dass seine Einhegung für die Menschen nicht teuer und kompliziert, sondern billig und einfach ist. Darauf kommt es an. Die generelle Devise lautet: Stop burning stuff. Aber neue Lösungen sind erst dann gut, wenn jeder sie sich leisten kann, wenn sie für Freiheit sorgen und für Sicherheit. Und das Schöne ist: Der überraschend schnelle Erfolg der Erneuerbaren zeigt gerade, dass genau dies in Reichweite kommt. Tatsächlich.

ZEIT: Auch Trump ist eine Tatsache. Wie wirkt sich diese Realität auf Ihr Denken aus?

Ritchie: Sein Wahlsieg ist nicht gerade die beste Nachricht. Aber der Fortschritt wird sich nur verlangsamen, er wird nicht stoppen. Denn es waren republikanisch regierte US-Staaten, die in den letzten Jahren die stärksten Subventionen erhalten haben, und die haben sie in saubere Energien investiert, etwa der Bundesstaat Texas, einfach weil das ökonomisch am klügsten ist. Und China wird in ein paar Jahren in die Lücke gesprungen sein und den klimapolitischen Wettbewerb, aus dem Trump aussteigt, anführen.

ZEIT: Kommt es überhaupt darauf an, was eine Regierung tut, wenn sich eine gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung einmal auf den Weg gemacht hat?

Ritchie: Oft vollziehen Regierungen nur, was Gesellschaften wollen. Erinnern Sie sich an den republikanischen Präsidenten Richard Nixon, der in den Siebzigerjahren die Umweltschutzbehörde, das Gesetz über saubere Luft und das Gesetz über sauberes Wasser ins Leben rief, obwohl ihn Umweltfragen nicht sonderlich interessierten? Er kümmerte sich nur darum, weil die Öffentlichkeit ihn drängte und es so wollte. Umweltpolitische Fortschritte vollziehen sich keineswegs nur unter linksliberalen demokratischen Regierungen. Ausgerechnet die Regierung von Bush senior hat im Kampf gegen den sauren Regen mit Kanada das entscheidende Abkommen hinbekommen.

ZEIT: Dafür musste man aber ein Faktum wie den sauren Regen erst mal anerkennen. Unsere Zeit scheint eher von starken Emotionen als von Fakten regiert zu werden, von Hass, Verachtung und Wut. Wer ist mächtiger: Daten oder Gefühle?

Ritchie: Die Macht der Gefühle ist stärker. Und man kann Menschen nicht einfach mit Fakten bewerfen und erwarten, dass sie ihr Verhalten prompt ändern. Machtvoll werden Daten erst, wenn aus ihnen eine starke, gewinnende Erzählung wird. Und diese Daten können wir liefern.

ZEIT: Woher nehmen Sie eigentlich die Zuversicht, dass die Menschen Ihrer Forschung vertrauen – wo doch jeder weiß, dass man mit Daten jede Realität behaupten kann?

Ritchie: Ich berufe mich, für jeden nachvollziehbar, auf die wissenschaftlich am gründlichsten überprüften Quellen, also den Goldstandard der Verlässlichkeit. Unsere Plattform Our World in Data ist offen, zehn Millionen Leute nutzen sie und überprüfen sie. Außerdem arbeite ich nach Kräften überparteilich, ich möchte Menschen auf der Linken ebenso erreichen wie Menschen auf der Rechten. Und das gelingt. Es braucht Zeit, aber es gelingt.

ZEIT: Wie schaffen Sie es, angesichts der davongaloppierenden Zeit so ruhig zu bleiben?

Ritchie: Es ist schwer, Geduld aufzubringen. Aber wir verlieren die Hoffnung, wenn wir nicht geduldig sind. Trump ist nur für vier Jahre an der Macht. Wir brauchen Ausdauer für Jahrzehnte. Es geht hier nicht ums Sprinten. Wir laufen einen Marathon. Der größte Teil der Menschheitsgeschichte besteht aus langen Abschnitten mit unglaublich langsamen, linearen Veränderungen. Bis plötzlich Innovationen auftauchen, die uns auf einen anderen Weg bringen. Dazu gehörte ab 1800 die industrielle Revolution, ab den Siebzigerjahren die grüne Revolution, seit Kurzem die digitale Revolution und jetzt die Revolution durch die sauberen Energien. Immer waren Menschen darauf angewiesen, irgendetwas zu verbrennen, wenn sie es warm haben wollten. Holz, Kohle, Öl, Gas, Uran, irgendetwas, das man aus der Erde gebuddelt hat. Erst jetzt wird Energie von einer Ware zu einer Technologie, die rasend schnell immer effizienter wird.

ZEIT: Ohne Verbote, ohne Zwang?

Ritchie: In unserer Übergangszeit ist Freiwilligkeit so wichtig wie die Wahlfreiheit zwischen Optionen. Menschen wollen selbst entscheiden. Es liegt mir fern, irgendjemandem etwas vorzuschreiben. Aber die Vorteile sauberer Energie werden gerade von allein überzeugend: nicht nur aufgrund der Preisentwicklung, sondern auch weil sie uns unabhängig davon machen, dass sich zentralisierte große Player in unser Leben einmischen. Sie funktionieren stattdessen lokal, denn man kann seine Energie inzwischen selbst herstellen. Das ist auch für Klimaskeptiker überzeugend, denen nichts so wichtig ist wie ihre Unabhängigkeit.

ZEIT: Sie haben Ihr Buch Ihren Eltern gewidmet: »Für meine Eltern, die perfekte Mischung aus Herz und Verstand.« Was macht sie perfekt?

Ritchie: Meine Mutter ist der freundlichste Mensch, den ich kenne. Und mein Vater wahrscheinlich der klügste. Das ist die Mischung, auf die es ankommt, denn ohne ein großes Herz öffnet man sich nicht dafür, dass auch die zukünftigen Generationen und unsere Mitgeschöpfe es auf diesem wunderbaren Planeten eines Tages noch gut haben sollen. Aber das Herz allein lässt einen nicht auf die effizientesten, schnellsten und klügsten Lösungen unserer Notlage verfallen.

ZEIT: Was unterscheidet also die erste Generation, die Sie sein können, von den bisher letzten – zumal den Eltern?

Ritchie: Der wichtigste Unterschied liegt darin, dass sie keine Wahl hatten. Sie mussten Zeug verbrennen, um Energie zu erzeugen. Und wir haben die Wahl. Auch die älteren Generationen sind wegen des Klimawandels tief besorgt. Aber bis vor 20 Jahren steckten sie in dem Dilemma fest, dass ein gutes Leben an die fossilen Energien gebunden war. Dafür haben sie die Bewegung zu den sauberen in Gang gesetzt. Meine Generation hat das Werkzeug nun in der Hand. Jetzt geht es darum, die Entwicklung nach Kräften zu beschleunigen. Mit viel Geld, Politik, klugen Investitionen. Wir müssen ja noch günstige Alternativen zum Zement auf den Weg bringen. Und zum Fleischkonsum. Und zum Fliegen.

Das Gespräch führte Elisabeth von Thadden

Hannah Ritchie

Die Wissenschaftlerin wurde 1993 in Schottland geboren. Sie studierte Environmental Science an der Universität Edinburgh. Heute arbeitet sie als Senior Researcher im Programm für globale Entwicklung der Universität Oxford und ist stellvertretende Herausgeberin der Plattform Our World in Data. Dieses Frühjahr hat der Piper Verlag ihr Buch »Hoffnung für Verzweifelte« veröffentlicht.

Die nächste Seite Sinn & Verstand erscheint am 9. Januar 2025

Fotos: Grey Hutton; Ivo van der Bent/Lumen Photo/Visum (u.)