»Ideologie vergiftet den Journalismus«

Der »heute-journal«-Moderator Claus Kleber verabschiedet sich diese Woche in den Ruhestand. Ein Gespräch über Selbstinszenierung, Aktivismus und Denkfaulheit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Er war erst Rechtsanwalt, Hörfunkjournalist, TV-Korrespondent in den USA, ARD-Studioleiter in London. Dann gelang Claus Kleber als Moderator des »heute-journals« in 18 Jahren, was vorher nur Hanns Joachim Friedrichs geschafft hatte – zum Inbegriff des politischen Moderators im deutschen Fernsehen zu werden.

Weltkenntnis, Wortgewalt, Sprachwitz, Interviewschärfe sind Kleber so eigen, wie sie Friedrichs unverwechselbar machten. Dazu komme eine Leichtigkeit, deren Quelle Souveränität und Handwerk seien, lobte die Jury, die ihm 2010 – nach dem Adolf-Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis – den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis verlieh.

Am 30. Dezember wird Kleber, 66 Jahre alt, den Zuschauern zum letzten Mal einen »Guten Abend« wünschen. Der Journalist Cordt Schnibben, der 1995 auch das letzte Interview mit Hanns Joachim Friedrichs geführt hat, traf Kleber kurz vor Weihnachten im Wiesbadener Kaffeehaus Maldaner.

DIE ZEIT: Jeden Abend schalten um die vier Millionen Deutsche das heute-journal ein, rund anderthalb Millionen mehr, als die Tagesthemen sehen. Gibt es ein Rezept für eine erfolgreiche Nachrichtensendung?

Claus Kleber: Kaum. Ein amerikanischer Bundesrichter hat mal auf die Frage, was Pornografie sei, gesagt, das könne er nicht definieren, aber er erkenne sie, wenn er sie sehe. So ist das auch mit der perfekten Sendung. Es gibt kein Rezept, weil wir ja immer abhängig sind vom Tagesgeschehen, wir müssen das Wesentliche transportieren. Das Weltgeschehen folgt nicht irgendwelchen journalistischen Aufbauregeln. Es gibt Tage, da hast du nur Ausland oder nur Inland. Oder nur dunkle Themen. Da können wir nicht einfach was Nettes dazustellen.

ZEIT: Die CDU gibt um 14 Uhr bekannt, wer neuer Parteivorsitzender geworden ist, in der Redaktionskonferenz diskutieren Sie und Ihre Leute, wie Sie die Sendung am Abend bauen, ein Gespräch mit Friedrich Merz soll im Mittelpunkt stehen – richtige Entscheidung?

Kleber: Ja, haben wir gedacht. Aber dann sind mehr als eine Million Zuschauer geflohen, rüber zur ARD, um sich das Ende von Der kleine Lord anzusehen. Dem uralten Alec-Guinness-Film. Die fanden Merz wohl weniger wichtig.

ZEIT: Lag das am Interview mit ihm?

Kleber: Es ging ziemlich flott hin und her. Ich habe ihm im Vorgespräch gesagt: Ich brauche pointierte Antworten. Er gab zurück: »Sie wissen ja, dass Sie das von mir kriegen.« Ja, sag ich, vor allen Dingen weiß ich, dass Sie keiner Frage ausweichen, nicht wahr? Da grinste er sein Grinsen.

ZEIT: Sie haben ihm dreimal in dem Interview gesagt, getarnt in drei verschiedenen Fragen, dass Sie ihn für den falschen Mann halten.

Kleber: Habe ich nicht. Es ist völlig wurscht, was ich von ihm halte. Ich wollte mit meinen Fragen erreichen, dass er seine Eignung pointiert selbst beschreiben muss. In solchen Situationen ist es häufig so, dass Friedrich Merz eine dunklere Seite zu erkennen gibt.

ZEIT: Welche dunklere Seite?

Kleber: Er neigt manchmal zu Hohn und Hochmut. Vor der Wahl hat Markus Lanz ihn gefragt, ob die Grünen jemals mit der FDP zusammenkommen würden. Wenn erst mal die Posten und die Dienstwagen auf dem Spiel stünden, hat er geantwortet, würden die schon eine Lösung finden. Da hat er sich pauschale Vorurteile über machtversessene Politiker zu eigen gemacht. Das fand ich interessant – ein lohnender Moment.

ZEIT: Sucht man in der Vorbereitung auf ein Interview mit Politikern nach solchen Schwächen? Was ist die Schwäche von Christian Lindner?

Kleber: Lindner ist der Medientrainer in Person. Der hat ein Leben lang Messages formuliert und verkauft. Ich suche vor allem nach Ausweichstrategien von Politikern, um mich zu wappnen. Politiker sind nicht so wahnsinnig fantasiereich in diesen Strategien. Wenn man sich gut vorbereitet, ist ein Interview wie ein Schachspiel, bei dem man den nächsten Zug des Gegenübers schon kennt.

ZEIT: Sollte man mit Interviews jemanden entlarven wollen?

Kleber: Entlarven ist mir zu kämpferisch. Es geht darum, den wahren Menschen hinter den Floskeln zu zeigen. Ein guter Moderator darf es nicht zu einer Verhörsituation kommen lassen. Das ist mir aber gelegentlich passiert.

ZEIT: Wann passiert das?

Kleber: Wenn man es übertreibt. Meine private Meinung darf ja in einem Interview keine Rolle spielen. Im Gegenteil: Ich muss im Interview immer die Gegenposition zum Gesprächspartner beziehen. Da ist es mir mehrfach passiert, dass ausgerechnet die Interviews, in denen ich privat mit den Interviewten einig war, Frontalzusammenstöße wurden.

ZEIT: Sie meinen das Interview mit Maria Furtwängler, für das Ihnen die »Saure Gurke« verleihen wurde?

Kleber: Danke für die dezente Erinnerung. Ja, das ist entgleist. Frau Furtwängler hat eine wirklich gute Studie vorgelegt über männliche Dominanz im Fernsehen, auch in den Nachrichten. Mich hat sie überzeugt. Es war mein Wunsch, dass sie in die Sendung kommt. Trotzdem musste ich als Moderator ihre Thesen infrage stellen. Das ist mir ziemlich verrutscht.

ZEIT: Den Siemens-Chef Joe Kaeser befragten Sie so, dass Frank Schirrmacher von »Selbstinszenierung des Journalismus« sprach.

Kleber: Tja, immerhin ging Joe Kaeser mitten im Krim-Krieg nach Moskau, um mit Putin einen Plausch über Wirtschaftsbeziehungen zu halten. Da war meine erste Frage: Sie waren heute bei Putin, was haben Sie sich dabei gedacht? Privat fand ich, dass er diese Reise machen musste. Aber ich habe ihn dann streckenweise verhört, als wäre ich Staatsanwalt. Das gehört sich nicht.

ZEIT: Wenn Sie das heute-journal beginnen mit dem Satz »Wir machen das ungern, aber wir müssen doch wieder mit dem Corona-Thema in die Sendung gehen«, ist das der Versuch, der Kumpel der Zuschauer zu sein? Wie wichtig sind die ersten 60 Sekunden?

Kleber: Ich begrüße nicht einen Saal aufmerksamer Gefolgsleute. Ich begrüße Menschen, die für die Sendung erst mal gewonnen werden müssen. Wenn die das Gefühl haben, dass sie gleich von oben herab belehrt werden sollen, sind sie weg. Und das mit Recht.

ZEIT: Journalisten hadern immer wieder mit einer Doppelaufgabe: über das Virus, seine Gefahren, seine Schäden aufzuklären, das ist die eine; über die Maßnahmen gegen das Virus und das Handeln von Regierenden zu berichten, sie zu kritisieren ist die andere. Das Virus zu besiegen kann nur gelingen, wenn die Maßnahmen von den Regierten umgesetzt werden. Wie bewältigen Sie und Ihre Redaktion diesen Spagat?

Kleber: Es ist kompliziert, weil es unseren journalistischen Instinkten widerspricht, mit der Regierung in Grundfragen einig zu sein. Das geschah trotzdem, einfach dadurch, dass Dinge, die schlicht Fakten sind, in der Öffentlichkeit ständig infrage gestellt wurden. Am Anfang: Ist das Virus überhaupt mehr als eine normale Grippe? Wird da nicht viel zu viel Lärm gemacht? Ist da nicht ein Staatsapparat am Werk, der auf Regulierung und Folgsamkeit ausgerichtet ist? Dann haben unsere immer kritischen Ermittlungen aber zum Ergebnis geführt, dass das, was die Regierung als Sachverhalt dargestellt hat, tatsächlich der Sachverhalt war. Wobei es auch in unserer Redaktion wichtige Leute gab, die sagten, ihr macht viel zu viel Theater wegen dieses Virus. Zu denen gehörte ich übrigens am Anfang auch. Bis heute gibt es in der Redaktion fast jeden Tag kontroverse Debatten über die Bedeutung dieser Pandemie und den richtigen Weg aus ihr raus.

ZEIT: Ein Großteil der Journalisten hat sich gemein gemacht mit der guten Sache der Pandemieabwehr. »Ein guter Journalist soll sich nicht gemein machen«, Sie kennen das Zitat von Hanns Joachim Friedrichs, »auch nicht mit einer guten Sache«.

Kleber: Sich gemein machen mit dem Ziel, dass weniger Menschen leiden und sterben, steht nicht wirklich zur Disposition. Das hätte auch Hajo Friedrichs nicht abgelehnt. Die Frage ist: Macht man sich gemein mit der konkret daraus resultierenden Politik?

ZEIT: Wie stehen Sie denn generell zu diesem Satz von Hajo Friedrichs? Er hängt ja auch eingerahmt in Ihrem Büro. Spielt der für Sie täglich eine Rolle?


Kleber: Friedrichs hat diese Maxime formuliert als Moderator einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung und vor allem für diesen Job. Darum gilt der Satz für mich. Er ist ein permanentes Warnsignal, die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus zu beachten. Ich möchte, dass die Zuschauer bis zum Ende der Sendung nicht wirklich wissen, was ich persönlich meine. Was ich oft höre von Moderatoren, insbesondere im Hörfunk, lässt mir die Hutschnur hochgehen, mit welcher Selbstverständlichkeit da Urteile abgegeben werden, von Leuten, die sich erkennbar mit der Sache nie vertieft beschäftigt haben. Diese Automatismen im Kopf sind nichts anderes als Denkfaulheit: Man ist für jede Umweltschutzmaßnahme, natürlich hält man Trump für einen Vollidioten, natürlich ist man grundsätzlich gegen jeden Militäreinsatz, natürlich ist die deutsche Industrie allein am Profit interessiert, natürlich sind Lobbyisten alle schlimm.

ZEIT: »Der Meinungskorridor war schon mal breiter«, hat der Bundespräsident kritisiert. Das sehen Sie ähnlich?

Kleber: Ja, und das ist Schlamperei.

ZEIT: Oder Ideologie.

Kleber: Ideologie ist für einen Journalisten immer der faulste Weg. Ich muss nicht lange nachdenken und recherchieren; wenn ich eine bestimmte Ideologie abonniert habe, sind ja die Entscheidungen alle schon gefallen. Ideologie vergiftet den Journalismus. Das mögen Leute tun, die nicht im Journalismus sind, wir dürfen das nicht. Wir müssen immer wieder infrage stellen, ob das, was wir gestern Abend gesagt haben, der Überprüfung standhält.

ZEIT: Wie macht man aufrüttelnden Klimajournalismus, ohne in Aktivismus zu rutschen?

Kleber: Indem man Zusammenhänge erklärt. Und nur berichtet, was wirklich belegt ist. Ich habe da auch Fehler gemacht. Nach der Flutkatastrophe im Juli habe ich zu einer beeindruckenden Grafik über den Jetstream erklärt, dass die Sturzfluten mit einer extremen Wetterlage zusammenhängen, die nun häufiger auftritt. Das stellte sich als fragwürdig heraus. Die Klimaforscher sind sich da nicht so einig, wie ich dachte. Wir haben das online richtiggestellt.

ZEIT: Daueralarmton in der Pandemie, Daueralarmton wegen des Klimas. Wie vermeidet der Journalist, dass die Leute um 21.45 Uhr sagen, ach, jetzt kommen die wieder mit der Klimakrise, ich schalte mal um zur Sachsenklinik?

Kleber: Indem er nicht bei ausgelutschten Bildern von Gletscherabbrüchen und schwimmenden Eisbären stehen bleibt. Wir müssen stärker Konzepte untersuchen, die funktionieren oder nicht funktionieren. Zum Beispiel die Frage: Ist das Elektroauto denn tatsächlich die Antwort? Was kann Windkraft wirklich? Warum geht das nicht voran? Das sind komplexe Themen. Feuchte Augen kriegen, wenn Greta auftaucht, ist einfacher. Aber wir verlieren die Hälfte des Publikums, wenn die sagen: Wieder so ein Prediger.

ZEIT: Sie sind in diesem System nie ganz nach oben gekommen, Sie sind nie Intendant geworden.

Kleber: Wäre das denn oben?

ZEIT: Wenn Sie sich in die Position eines Intendanten versetzen, gibt es etwas, was Sie aufgrund Ihrer Erfahrung anders machen würden?

Kleber: Ich glaube, dass es gut wäre, den Informations- und Nachrichtenauftrag noch ernster zu nehmen, mehr Ressourcen reinzustecken. Nicht weil wir Journalisten gerne noch mehr verwöhnt werden sollten als ohnehin schon. Sondern weil unser Gewerbe für das Funktionieren der Demokratie so verdammt wichtig ist. Ich glaube, dass die Menschen uns vor allem daran messen. Jeden Tag. Im Vergleich mit anderen Informationen, die sie bekommen.

ZEIT: Früher gab es das ZDF-Magazin mit dem rechten Prediger Gerhard Löwenthal, jetzt gibt es das ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann. Gibt es die Löwenthals nicht mehr, oder kriegen die keine Plätze?

Kleber: Ich glaube, das liegt daran, dass der journalistische Konsens die Oberhand gewonnen hat. In der Redaktion haben wir jeden Tag strittige Debatten, trotzdem machen wir Sendungen, die den Zuschauern nicht das Gefühl geben, dass dort Meinungen aufeinanderstoßen. Selbst die Kommentare im Öffentlich-Rechtlichen sind oft eher Besinnungsaufsätze. Vielleicht sollten wir uns wieder konfrontative Formate trauen. Im ZDF gab es mal das originale Frontal mit Ulrich Kienzle und Bodo Hauser. Da haben sich zwei eindeutig auf links und rechts festgelegte Journalisten gefetzt. Der Chefredakteur Nikolaus Brender hat das Anfang des Jahrhunderts abgesetzt, weil er keine Journalisten dulden wollte, die für links oder rechts stehen. Kann ich gut verstehen, aber da ist auch was verloren gegangen.

ZEIT: Du kannst so dumm sein, dass dich die Schweine beißen, du musst nur jeden Tag im Fernsehen sein, dann ist dein Aufstieg nicht aufzuhalten.

Kleber: Stimmt! Das ist mein Hajo-Friedrichs-Lieblingszitat.

ZEIT: Stimmt das noch?

Kleber: Das stimmt für viele Karrieren im Fernsehen. Man darf sich nicht selber überschätzen. Bloß weil jemand bekannt ist, darf er nicht glauben, dass er schon gut sei.

ZEIT: Klassische Medien erreichen jüngere Altersgruppen kaum noch, soziale Medien sind deren wichtigste Informationsquelle. Wie können klassische Medien besser bestehen?

Kleber: Wir müssen uns mittlerweile einem viel härteren Wettbewerb stellen. Ich habe in unseren Konferenzen oft die Frage gestellt: Welchen Beitrag, den wir jetzt gerade planen, würdest du über Social Media begeistert an deine Freunde verteilen, weil die ihn unbedingt sehen müssen? Zu oft kommen dann verlegene Blicke. Wir trimmen das heute-journal nicht auf Klicks und Quoten. Aber wir müssen Augen, Ohren und Herzen gewinnen für unsere Inhalte. Dafür brauchen wir noch mehr Liebe, noch mehr Sorgfalt, noch mehr inhaltliche Schärfe. Der Job des Journalisten hat sich mehr verändert als jeder andere Job. Unser Publikum ist viel anspruchsvoller geworden. Wir stehen in einem ganz anderen Gegenwind, in einer ganz anderen Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Menschen. Viel von dem, was bei uns so tagtäglich entsteht, wird diesen Wettbewerb auf Dauer nicht aushalten.

ZEIT: »Der Job des Journalisten hat sich mehr verändert als jeder andere Job.« Was meinen Sie damit?

Kleber: Die Art der Recherche, die Machart des Programms und die Rezeption des Publikums. Alle drei Aspekte unseres Gewerbes sind völlig anders, als sie vor 20 Jahren waren. Zur Rezeption: Ich glaube, dass wir Journalisten unseren Beitrag dazu geleistet haben, dass es eine große Gruppe von Menschen gab und gibt, die sich in den Medien nicht mehr vertreten sehen – Menschen mit einem konservativen Wertekostüm in Religion, Familie, Nation. Das ist die Klientel geworden, die Leute wie Boris Johnson und Donald Trump oder die AfD für sich entdeckt haben. Das sind Bereiche der Gesellschaft, die wir nicht mehr ausgeleuchtet haben. Als die dann in den sozialen Medien Plattformen gefunden haben, wo zehn Leute in Berlin und drei in Buxtehude glauben konnten, hey, wir sind eine relevante Gruppe, hat sich das politisch manifestiert.

ZEIT: Wenn ein paar Dutzend Impfgegner in einer ostdeutschen Kleinstadt zu sogenannten Spaziergängen aufbrechen, sollte dann das heute-journal darüber berichten?

Kleber: Über ein paar Dutzend sicher nicht. Aber irgendwann kommt eine Größe, die in die Nachrichten gehört. Dann reicht es aber nicht, nur die Kamera draufzuhalten. Solche Phänomene müssen beobachtet und durchleuchtet werden, wie andere Vorgänge auch.

ZEIT: Ist das schon false balance, also eine »falsche Ausgewogenheit«, die eine Minderheitenposition wichtiger darstellt, als sie tatsächlich ist?

Kleber: Es ist dann false balance, wenn ich so tue, als wären ihre Parolen genauso valide wie ein Argument von Christian Drosten. Das machen wir nicht. Aber die Skepsis dieser Leute und ihr Gefühl: »Die da oben wollen uns doch nur kontrollieren und steuern«, diese Skepsis verdient Gehör, auch wenn wir das inhaltlich für falsch halten. Darüber haben wir jeden Tag Debatten in der Redaktion: Müssen wir das denn schon wieder zeigen? Als gute Reporter müssen wir auch über Nischen der Gesellschaft berichten.

ZEIT: Was unterscheidet einen guten Moderator von einem guten Reporter?

Kleber: Nichts.

ZEIT: Welche Zusatzqualifikation braucht er?

Kleber: Irgendwie muss der Typ vor der Kamera mit dem Gewese im Studio, trotz der kalten Technik um einen rum, eine Chemie herstellen können, die im Wohnzimmer ein Gefühl von Nähe und Vertrauenswürdigkeit vermittelt. Es gibt einen herrlichen Film, Broadcast News, über einen großartigen Reporter, in allen Krisenherden der Welt zu Hause. Dann soll er Moderator werden und geht erbarmungslos unter. Sein Gegenspieler ist so ein leerer Anzug, der nix im Hirn hat, aber immer ein gebügeltes Hemd im Schrank. Der ist in dem Film die Moderatorenpersönlichkeit schlechthin. Ein absoluter Hohlkopf, dem Holly Hunter als Producerin alles ins Ohr flüstern muss. Aber er kommt an. Mein Ziel war es, so viel wie möglich von diesem tollen Reporter in den Typ im Anzug reinzubringen, der vor der Kamera steht und moderiert.

ZEIT: Was treibt Sie selbst hinaus, um Reportagen zu drehen, zukünftig ja öfter?

Kleber: Die Begegnung mit der Realität! Deswegen bin ich Journalist geworden. Ich wollte die Welt erfahren. Das ZDF hat mir neben der Moderation des heute-journals die Riesenchance gegeben, in den fast zwanzig Jahren die Welt kennenzulernen. Ich weiß, wie es sich in Pakistan, Westafrika, China oder Südamerika anfühlt. Wie die Leute dort sind, wie es dort riecht oder stinkt. Ohne das hätte ich meinen Job als Moderator nicht so machen können. Das war mein Traum, als ich in den Beruf gegangen bin. Inzwischen war ich auf allen Kontinenten. Und immer ist eine Dokumentation dabei rausgekommen, immer konnte ich meine Geschichten erzählen.

ZEIT: Sie sitzen gerade an Ihrer dritten Dokumentation aus dem Silicon Valley. Was nehmen Sie von diesen Trips aus der Zukunft persönlich mit?

Kleber: Im Moment große Sorge. Da ist ein Apparat im Overdrive, ausgestattet mit Fantastilliarden an Geld. In dem wenige Leute die Agenda bestimmen. Ohne demokratische Legitimation. Facebook sagt: Zweieinhalb Milliarden Menschen nutzen uns, wir sind legitimiert. Nein, die sind nicht legitimiert. Sie haben nur ein erfolgreiches Konsumprodukt platziert, das ist keine Legitimation für den Umgang mit öffentlichen Debatten. Wir haben es inzwischen mit einer Gesellschaft zu tun, in der selbst belesene Leute auf den größten Bullshit reinfallen, den man mit zehn Sekunden Recherche entlarven könnte. Aber wer macht das schon? Wer weiß schon, wie das geht?

ZEIT: Was lässt sich dagegen unternehmen?

Kleber: Wir brauchen, schon in der Schule, die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz. Wir sind Staatsbürger einer redaktionellen Gesellschaft, die sich kompetent durch den Dschungel von Information und Desinformation manövrieren müssen. Da kann ich nur Initiativen wie »Journalismus macht Schule« unterstützen, die sich darum bemühen. Das ist ein Erfordernis, so wie es eine Gesellschaft der Führerschein-Besitzer geben musste. Man kann die Leute nicht unvorbereitet einfach drauflosfahren lassen.

ZEIT: Sie sind gelegentlich in Schulen und engagieren sich in diesem Sinne als Fahrschullehrer.

Kleber: Viel zu wenig, das will ich in Zukunft mehr machen.

ZEIT: Was nehmen Sie mit von Schulbesuchen?

Kleber: Eine genuine Neugier der Schülerinnen und Schüler auf das, was wir machen. Die Faszination Massenmedium hat offenbar nicht aufgehört. Aber wir müssen mindestens mal den jungen Leuten ein paar Werkzeuge unseres Handwerks geben, damit sie mit der Informationsflut fertigwerden. Ohne das gehen sie unter. Und unsere Demokratie gleich mit.

ZEIT: Geben Sie den Moderatorenjob leichten Herzens auf, oder schmerzt es?

Kleber: Dass mir der Abschied schwerfallen würde, war immer klar. Aber jetzt fällt es mir viel schwerer als erwartet. Weil ich mir mehr Sorgen mache als je zuvor. Mir bricht uns an zu vielen Stellen der Boden weg, Dinge, die wir für selbstverständlich hielten: Frieden in Europa, eine funktionierende Demokratie in den USA, ein zivilisiertes politisches Klima bei uns. Und ausgerechnet jetzt hat Corona das quirlige, kreative Miteinander in den Redaktionen kaputt gemacht, das Sendungen wie das heute-journal ausmacht. Videokonferenzen sind da nur Krücken. Da geht man nicht von Bord. Und sicher nicht leichten Herzens.

Das Gespräch führte Cordt Schnibben

Foto: Ramon Haindl für DIE ZEIT Foto: ZDF Screenshot: ZDF Foto: picture alliance / dpaLawrence Jackson/ZDF

»Ich glaube, dass der journalistische Konsens die Oberhand gewonnen hat«

Claus Kleber

Mit seiner Kollegin Gundula Gause moderierte Claus Kleber jahrelang das »heute-journal« im ZDF

Von 1997 bis 2002 war Kleber Leiter des ARD-Studios Washington. Danach wurde er Korrespondent in London

2014 führte Kleber im Weißen Haus ein Interview mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama (l.)