Apfel + Entfernen
Am 4. Februar, einem Dienstag, trifft im Büro des Hamburger Murmann Verlags gegen neun Uhr morgens eine Delegation des Apple-Konzerns ein. Die vier Abgesandten, darunter zwei Anwälte zweier internationaler Großkanzleien, sind eigens nach Hamburg gereist. Es geht aus ihrer Sicht um eine hochsensible Angelegenheit, um nicht zu sagen: eine Ungeheuerlichkeit.
Mehrere Stunden lang studieren sie in einem Besprechungsraum das Manuskript eines Buchs, das Mitte Februar bei Murmann erscheinen soll. Titel: App Store Confidential. Ein persönlicher Blick hinter die Kulissen von Apples wichtigstem Business. Geschrieben hat es der ehemalige Apple-Manager Tom Sadowski, 46, bis vor Kurzem Deutschlandchef des App Store. Die Apple-Leute machen sich Notizen, neben ihnen sitzt währenddessen die Juristin des Verlags als Aufpasserin. Gegen 15 Uhr verschwinden sie wieder.
Der Termin ist von Murmann als Friedensangebot gedacht. Man habe den sich anbahnenden Konflikt entschärfen wollen, sagt Geschäftsführer Peter Felixberger. Normalerweise gewähre er keinem Unternehmen Einsicht in noch unveröffentlichte Manuskripte. Aber welcher kleine, inhabergeführte Sachbuchverlag legt sich schon freiwillig mit einem Konzern an, der an der Börse derzeit rekordverdächtige 1,4 Billionen Dollar wert ist?
Es nützt nichts. Eine gute Woche später bekommt Murmann Post von Apples Anwälten, und die ist unmissverständlich: Der Verlag und sein Autor sollen die »Auslieferung des Buchs stoppen« und »sämtliche bereits im Vertrieb befindlichen Buchexemplare zurückrufen sowie sämtliche Buchmanuskripte vernichten«, fordern die Anwälte. Das geht aus mehreren Schreiben hervor, welche die ZEIT einsehen konnte. Apples Begründung für diese drastische Maßnahme: In dem 180 Seiten schmalen Band würden »Geschäftsgeheimnisse« verraten, die von »erheblichem wirtschaftlichen Wert« seien.
»Ich habe so einen Vorgang noch nie erlebt«, sagt Verleger Felixberger. Zumal bei einem Werk, das mit einer Erstauflage von 4000 Stück nicht unbedingt geeignet ist, einem Weltkonzern wie Apple ernsthaft zu schaden. Felixberger ist entschlossen, sich zu wehren. Dass Apple gegen das Buch vorgehe, »können wir nicht zulassen«, sagt er.
Von der ZEIT mit einem langen Fragenkatalog konfrontiert, antwortet Apple mit einem knappen Statement. Darin heißt es zu Beginn: »Apple fördert seit Langem eine freie Presse und unterstützt Autoren aller Art.«
Er habe sich schon gedacht, dass Apple von seinem Buch nicht begeistert sein würde, sagt Tom Sadowski, der Autor. Aber die Härte, mit der das Unternehmen nun gegen ihn und den Verlag vorgehe, habe ihn überrascht. Sadowski fing 2009 bei Apple in München an, von dort lenkt der US-amerikanische Konzern sein Deutschlandgeschäft. Als »Head of App Store« für Deutschland, Österreich und die Schweiz hielt er Kontakt zu App-Entwicklern und erklärte ihnen unter anderem, was eine erfolgreiche App ausmacht. Denn: Je mehr die Entwickler verdienen, desto mehr profitiert Apple. Für jede heruntergeladene App erhält das Unternehmen einen Anteil des Umsatzes.
»Ich hatte nie vor, ein Enthüllungsbuch zu schreiben«, sagt Sadowski. Warum auch? Schließlich habe er Apple viel zu verdanken: einen interessanten Job und ein fantastisches Gehalt, nicht zuletzt durch Aktienoptionen. Als er im November 2019 kündigte, ging Sadowski nach eigenen Angaben im Guten. Er habe nach zehn Jahren einfach noch einmal etwas Neues wagen und sich als App-Berater selbstständig machen wollen, erzählt er.
Das Buch, das Sadowski in den Monaten zuvor an freien Wochenenden verfasste, richte sich an App-Entwickler und alle, die es werden wollen, sagt er. Doch auch wenn der Verlag mit dem »Insiderwissen« des Autors wirbt und dem Werk einen einigermaßen reißerischen Titel verpasst hat, Geheimnisse werden darin eher keine verraten. Erbauliche Sprüche (»Lebe deinen Traum«) reihen sich an Anekdoten über die Deutschlandbesuche von Apple-Chef Tim Cook, über die ähnlich auch schon einige Medien berichtet haben. Daneben erklärt Sadowski, warum Abos mehr Geld einspielen als andere Bezahlmodelle und Apps ihre Kunden nicht schon nach dem Download vergraulen dürfen. All jenen, die sich schon einmal näher mit der App-Ökonomie beschäftigt haben, dürfte wenig bis nichts davon neu sein.
Was an dem Buch so vertraulich sein soll, dass es sogar einen Verkaufsstopp rechtfertigen würde, weiß Apple offenbar selbst nicht genau – oder will es nicht sagen. Die Briefe der Anwälte bleiben in dieser Hinsicht vage. Auch nach dem Termin beim Murmann Verlag – nachdem Apple den Inhalt des Buchs kannte – wurde das Unternehmen laut Murmann nicht konkreter.
Apple ist für seine Verschlossenheit bekannt. Selbst gegenüber den eigenen Mitarbeitern macht der Konzern aus vielem ein großes Geheimnis, so erzählt es Sadowski. Über die Jahre sei er von Apples PR-Abteilung in Amerika wiederholt gebeten worden, ein Programm für »einen Executive-Besuch aus den USA« vorzuschlagen. Wer dieser Executive, also Manager, sei, hätten ihm die Kollegen nicht verraten wollen. Irgendwann habe er die Masche durchschaut, sagt Sadowski: Der Manager war Tim Cook.
Sadowski hat ein Unternehmen erlebt, das seine Außenwirkung um jeden Preis kontrollieren will. Immer wenn er im Apple-Büro in München Gäste empfangen habe, sagt Sadowski, habe er zu Beginn eine Folie gezeigt: Nichts, was in den nächsten Stunden besprochen werde, dürfe den Raum verlassen. So schreiben es nach Sadowskis Darstellung Apples Richtlinien vor.
Abgesehen von den Keynotes, bei denen Apple neue Produkte inszeniert wie Weltsensationen, macht der Konzern sich rar. Auf Messen oder Branchenveranstaltungen träten Apple oder seine Mitarbeiter nie öffentlich in Erscheinung, erzählt Sadowski. Er sei häufig eingeladen worden, bei Konferenzen auf der Bühne zu sprechen. Aber Apple habe solche Auftritte nie erlaubt. Aus diesem Grund habe er niemandem im Unternehmen vorab von seinen Buchplänen erzählt: »Mir war klar, dass Apple es ablehnen würde«, sagt Sadowski. »Egal, was drinsteht.«
Dass Apple versucht, das Buch zu verhindern, passt also ins Bild. Dennoch habe der Konzern seine Macht wohl überschätzt, glaubt der Hamburger Medienrechtler Ralph Oliver Graef, der Sadowski und den Murmann Verlag vertritt. »Apple muss hinnehmen, dass man sich mit dem Unternehmen auseinandersetzt«, sagt Graef. »Und Apple hat auch kein Recht, nur so dargestellt zu werden, wie es das möchte.«
Eine zwei Seiten umfassende Verschwiegenheitsklausel, die Sadowski zu Beginn und zum Ende seiner Tätigkeit bei Apple unterschrieb, hält Graef für unwirksam. »Ein Unternehmen kann nicht einfach alles zum Geschäftsgeheimnis erklären«, sagt er. Erst recht nicht, wenn die Informationen öffentlich seien, wie Quartalszahlen oder Medienberichte über Reisen des CEO. Apple sieht das anders: Sadowski habe sein »Arbeitsverhältnis verletzt«, heißt es im Statement des Unternehmens. Die »Beschäftigungsrichtlinien« würden für alle Mitarbeiter »gleich und fair angewandt«.
Will man die Veröffentlichung eines Buchs verhindern, gelten in Deutschland hohe Hürden. Immer mal wieder verbieten Gerichte einzelne Sätze oder ganze Passagen. Dass ein Buch als Ganzes verboten wird, kommt dagegen nur sehr selten vor. So wie im Fall des Romans Esra von Maxim Biller, dessen Verbreitung das Bundesverfassungsgericht wegen der Verletzung der Persönlichkeitsrechte der dargestellten Personen 2007 untersagte.
Wenn überhaupt, sei also vorstellbar, dass ein Gericht bestimmte Stellen des Apple-Buchs aus presserechtlicher Sicht für problematisch erachte und diese womöglich in kommenden Auflagen geändert oder gestrichen würden, glaubt Graef. Dann müsse Apple aber auch erklären, worin die Geschäftsgeheimnisse bestünden.
Sadowski und der Verlag wollen es darauf ankommen lassen. Die von Apple geforderte Unterlassungserklärung haben sie nicht unterzeichnet. Nun könnte Apple versuchen, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Dann müsste ein Richter entscheiden. Bis zum Redaktionsschluss der ZEIT lag dem Verlag kein solches Schreiben vor. Das Buch ist am Dienstag wie geplant erschienen.