Heißer Streit

In Brandenburg will eine Spezialistin die Waldbrandgefahr mit Ziegen und Schafen eindämmen – so wie es die Südeuropäer schon lange tun. Naturschützer kämpfen dagegen. Wieso? 

Alles beginnt mit einer Unbedachtheit: Ein Stück Grillkohle oder eine Kippe landet im trockenen Gras. Die Flammen kriechen über den Waldboden, erfassen Nadeln und Blätter, Zapfen und Äste. Mehr als 300 Grad wird das Bodenfeuer heiß. Aber wenn es am Boden bleibt, ist der Schaden verkraftbar; aus der Asche wächst bald neues Leben.

Treffen die Flammen allerdings auf Unterholz und kleine Bäume, können sie hinaufklettern wie auf einer Leiter, hoch zu den großen Bäumen und dort von Ast zu Ast, von Krone zu Krone. Ein Vollfeuer entsteht, mehr als 1.000 Grad heiß. Der Wald wird zum Flammenmeer.

Deshalb müssen wir Brennbares aus dem Wald räumen, sagt eine Waldbrandexpertin.

Die Expertin heißt Juliane Baumann, Beauftragte für den Waldbrandschutz in Beelitz, südlich von Berlin. Vor allem Kiefern wachsen hier, gepflanzt nach dem Krieg, so wie überall in Brandenburg. 2018 und 2022 sind in Beelitz bei tagelangen Feuern insgesamt rund 260 Hektar Wald verbrannt. Im Juni 2022 kamen die Flammen auf 50 Meter an die Häuser heran, mehrere Straßen wurden evakuiert. Regen rettete die Stadt.

Nur Wochen später engagierte der Landkreis Juliane Baumann. Als Erste ihrer Art in Deutschland. Ihre Aufgabe ist unstrittig: Beelitz vor Waldbränden schützen. Aber wie sie das macht, darüber wird seitdem gestritten. Im Kern geht es dabei um eine Frage, die sich bald im ganzen Land stellen dürfte: Wie tief soll man in den Wald eingreifen, um Bäume und Menschen vor dem Feuer zu schützen? Früher erfassten Brände in deutschen Wäldern fast nie Dörfer und Städte. Seit aber immer mehr Wälder auf immer größerer Fläche brennen, gibt es auch immer mehr Fälle wie Beelitz. Anfang Juli etwa standen mehr als 2.000 Hektar in Sachsen in Flammen und 300 Hektar in Thüringen. Auch hier konnte die Feuerwehr die Feuer erst nach Tagen löschen, mussten Ortschaften evakuiert werden. Wie kann also eine neue Strategie aussehen?

Mitte Juli 2025, die Brandsaison ist erst halb vorbei, und schon lassen europäische Satellitendaten erahnen, dass in diesem Sommer mehr Wald in Flammen aufgeht als in den Jahrzehnten zuvor. Doch in Beelitz steht Juliane Baumann zwischen Heidekraut, krault Ziegen und freut sich. Es ist der Moment, auf den sie hingearbeitet hat: 225 Ziegen und 70 Schafe weiden auf einem eingezäunten Gelände zwischen jungen Kiefern und Birken. Die Schafe grasen den Boden ab, Ziegen klettern auf die niedrigen Äste, um die Rinde von den Bäumen zu knabbern. Den Tieren bekommt es, aber für die Kiefern und Birken wird es wohl tödlich enden. Ohne Rinde können sie keine Nährstoffe transportieren.

Genau darauf setzt Juliane Baumann. Gemeinsam mit der Stadt Beelitz hat sie das erste Waldbrandschutzkonzept einer Kommune in Deutschland entwickelt. Die »Waldweide« ist dabei ein entscheidender Bestandteil. Das Prinzip: Waldbrände entstehen durch Wärme, Wind und Brennstoff. Da sich das Wetter nicht ändern lässt, muss der Brennstoff auf und direkt über dem Boden verschwinden, im Zweifel in Tiermägen.

Baumann ist studierte Öko-Agrarmanagerin, hat mehrere Jahre in Spanien gelernt, Waldbrände zu löschen und ihnen vorzubeugen. Nun will die 47-Jährige ihr Wissen in Beelitz umsetzen. »Wenn die Waldweide am Mittelmeer und in den USA gegen Waldbrände eingesetzt wird, warum nicht auch hier?«, fragt Baumann.

In Beelitz wird die Waldweide derzeit durch die Schafe und Ziegen auf einer Stromtrasse geschaffen. Bald sollen die Tiere auf weiteren Flächen weiden, auch auf einem anderen Korridor direkt im Wald, falls es die Behörden genehmigen. Denn dass Tiere junge Bäume fressen, passt für Forstbehörden und Umweltschützer bislang nicht zum Waldbrandschutz. Sie glauben, dass nur ein natürlicher Wald dem Feuer widersteht.

»Wenn man sich eine Fläche anguckt, wo Schafe und Ziegen gehalten werden: Da kommt nie wieder ein Laubbaum hoch«, sagt etwa Hans-Holger Liste, »das ist die Krönung der Katastrophe.« Liste ist strikt gegen die Beweidung, so wie auch die lokale Bürgerinitiative »BI Naturwald«. Ihr Ziel ist ein natürlich durchmischter Wald, in den weder Menschen noch Ziegen eingreifen.

Hans-Holger Liste ist Bodenökologe im Ruhestand und wohnt im Beelitzer Ortsteil Fichtenwalde. Anders als der Name es suggeriert, liegt der Ortsteil mitten in einem Kiefernwald. Sein Garten jedoch ist ein »Laubholz-Dschungel«, wie er sagt. Er pflanzt ihn teils selbst und lässt ansonsten wachsen, was kommt: Eiche, Buche, Kirsche, Birke und einiges mehr. »Darunter ist es so feucht und kühl, wenn hier ein Feuer ankommt, brennt nichts«, sagt er. Von der Stadt Beelitz fordern er und die Bürgerinitiative das Gleiche: mehr Laubbäume, nicht weniger.

Liste nennt prominente Waldökologen, die wie er glauben, dass nur ein naturbelassener Wald mit heimischen Laubbäumen wie Buchen resilient gegen Waldbrände ist. Insbesondere dann, wenn der Klimawandel immer mehr Hitzetage und Trockenheit bringt. Einer dieser Experten ist Pierre Ibisch von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde. »In einem Laubwald mit mehreren Schichten aus Sträuchern, kleinen und großen Bäumen mit geschlossenem Kronendach wird viel Wasser gespeichert«, sagt Ibisch. Die Beweidung und das Fällen von Bäumen in Beelitz hält er für »kontraproduktiv«. »In einem offenen Kiefernforst mit wenig Schatten steigt die Temperatur an heißen Tagen auf über 40 Grad, im Vergleich zu 30 Grad in einem Naturwald«, sagt Ibisch.

Dass Wälder in Deutschland durchmischt werden müssen, ist wissenschaftlicher Konsens. Zahlen des Umweltbundesamtes zeigen, dass hierzulande bislang deutlich mehr Nadel- als Laubwälder brennen. Doch das ändert sich. Während Anfang des Jahrtausends rund drei Viertel der Feuer auf Nadelwaldflächen tobten, war es später mehrmals umgekehrt: 2009, 2017 und 2023 standen zu über 50 Prozent Wälder mit Laubholz in Flammen. Auch heftige Waldbrände in anderen Ländern, etwa 2023 in Kanada, zeigen: Wenn Bäume, Laub und Totholz wochenlang austrocknen, brennt auch ein Laub- oder Mischwald. Kann der Umbau des Waldes also noch die alleinige Lösung sein?

Die Antwort von Juliane Baumann und der Stadt Beelitz ist eine Doppelstrategie. Langfristig wollen auch sie aus der lichten Kiefernmonokultur einen schattigen Mischwald machen. Fährt man durch den Wald, sieht man links und rechts der Wege bereits sogenannte Umbauflächen, auf denen junge Laubbäume wie Eichen und Birken wachsen. Doch die sind erst zwei, drei, vielleicht vier Meter hoch, mit dünnen Stämmen. Bis sie groß und robust genug sind, um den Wald feuerfester zu machen, müssten noch ein, zwei Jahrzehnte vergehen, sagt Baumann. In den nächsten Jahren seien sie in trockenen Perioden eher ein Brandverstärker, kein Löscher.

Ökologen wie Ibisch und Liste sagen: Dieses Risiko müssen wir aushalten. Juliane Baumann findet: So lange kann man nicht warten.

»Mein Job ist nicht, den Wald zu schützen, sondern die Siedlung, und zwar jetzt«, sagt sie. Während im Wald Bäume gepflanzt werden, werden an den Ortsrändern die ersten entfernt. In Fichtenwalde wurde vor anderthalb Jahren auf zwei Kilometer Länge und 100 Meter Breite der Waldrand umgebaut.

Auf einem drei Meter breiten Streifen sieht der Boden aus wie ein Acker. Dieser »Wundstreifen« soll Bodenfeuer stoppen. Dahinter sind auf 25 Meter viele Bäume gefällt worden. Die verbliebenen stehen jeweils mehrere Meter voneinander entfernt. Das ist der »Schutzstreifen«, er soll Kronenbrände stoppen. Und dahinter wiederum werden in einem »Waldbrandriegel« zwar einige Laubbäume gepflanzt, aber ansonsten jeglicher Bewuchs und Totholz entfernt. Das Prinzip wurde bereits in der DDR angewandt, es ähnelt dem Modell mit den Ziegen und Schafen; auch die Kritik daran ist ähnlich.

Hans-Holger Liste von der Bürgerinitiative läuft jeden Tag mit seinem Hund daran vorbei und ärgert sich. »Alles zerstört«, sagt er. Die Bäume, der Boden, das Totholz und damit ein wichtiger Lebensraum für die Artenvielfalt im Wald, für Pilze, Käfer und kleinste Organismen. Baumanns Vorgehen überzeugt Liste nicht. »Aus unserer Sicht ist die Schneise ohne Sinn. Wenn es brennt, fliegen die Funken einfach darüber hinweg.«

Tatsächlich ist das bei starken Feuern schon passiert, auch 2022 in Beelitz. Doch in der Regel bremst eine Schneise einen Brand, vor allem ein Bodenfeuer, zeigt die Erfahrung aus anderen Ländern. Auch deshalb unterstützt Alexander Held das Konzept von Juliane Baumann. Held arbeitet am European Forest Institute in Bonn, er ist ein führender Spezialist für Waldbrandprävention. Aus seiner Arbeit in Ländern mit stärkeren Bränden weiß er, dass Baumanns Ideen dort Standard sind. Derzeit evaluieren Waldbrandexperten aus Spanien, Italien und Portugal im Auftrag der EU die Waldbrandprävention in Brandenburg, inklusive des Konzeptes in Beelitz. Alexander Held und Juliane Baumann kennen einander.

»Ich verstehe den Kampf nicht, den sie da aushalten muss, weil sie auf kleinen Flächen etwas ausprobiert«, sagt er. »In Deutschland haben wir diesen starken Mythos vom natürlichen, guten Wald.« Auch er wünsche sich mehr dichte, feuchte, schattige Wälder für den Brandschutz. »Aber diese emotionale Verbindung blockiert uns ein Stück weit den Weg zu einer effizienten Waldbrandprävention.«

Ökologen wie Ibisch schießen laut Held über das Ziel hinaus. Und auch die Forstämter und Feuerwehren dächten zu kleinteilig: Die einen schützten den Wald, die anderen löschten Feuer. Doch Waldbrände gingen jeden an.

Was alle gefährdeten Bundesländer tun: Sie rüsten auf, mit Kameras im Wald, mit Fahrzeugen, Drohnen, Hubschraubern, speziell in Brandenburg und Sachsen auch mit Löschpanzern, wegen der Zehntausenden Tonnen alter Munition in den Böden. Für Juliane Baumann ist das der falsche Weg: »Die Geräte werden immer größer, schicker, teurer, und die Feuerwehrleute sind im Zweifelsfall nicht richtig dafür ausgebildet.« In Beelitz versuchen sie es gemeinsam mit den freiwilligen Feuerwehren anders.

In der Wache zieht eine Feuerwehrfrau die Kleidung der neuen »Spezialkräfte für Vegetationsbrandbekämpfung« an. Ein dünnes gelbes Shirt, leichte Stiefel, Hose und Helm und für das Gesicht eine Art Skibrille sowie einen Mundschutz, der Hals und Nacken bedeckt. Internationaler Standard, finanziert durch den örtlichen Förderverein. Und ermöglicht deutlich mehr Beweglichkeit als die Standardausrüstung.

Denn darauf kommt es bei einem Waldbrand an. Als die Flammen 2022 auf 230 Hektar wüteten, also auf einer Fläche, so groß wie 320 Fußballfelder, mussten die Feuerwehrleute dem Feuer immer wieder hinterhereilen, um dann vor ihm zu fliehen, damit sie nicht eingeschlossen werden. Stundenlang ging es hin und her. In diesem Einsatz hätten sich viele hilflos gefühlt, sagt einer in der Wache, der nicht namentlich zitiert werden will. Deshalb sei es schon richtig, dass Juliane Baumann den Wald aufräumt, vor allem Totholz wie umgefallene Baumstämme oder Äste.

Dagegen verweisen Ökologen wie Ibisch und Liste wiederum auf die Bedeutung des Totholzes für die Artenvielfalt im Wald. Sie wollen es dort liegen lassen, wo es natürlicherweise herumliegt. Juliane Baumann sieht das anders. »Für die Biodiversität macht es nichts aus, wenn das Totholz tiefer im Wald liegt statt direkt an Wegen«, sagt sie, »für die Feuerwehrleute aber sehr viel.« Brennendes Totholz macht ihnen das Vorankommen schwer und kann Fluchtwege abschneiden.

Wieder ein Punkt also, über den sich die Waldschützer nicht einig sind. Und so ist derzeit nur gewiss, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis der deutsche Wald so umgestaltet ist, dass er auch der neuen Brandgefahr zu trotzen vermag – und sich alle Waldschützer einig sind.

Politisch scheint die Strategie von Juliane Baumann Unterstützung zu finden. Neben Beelitz haben andere Orte in Brandenburg angefragt, ob sie auch dort das Brandrisiko bewerten könne. Und als sie am Ende des Tages die Ziegen und Schafe verlässt und auf dem Heimweg ist, da bekommt sie eine Nachricht von Alexander Held aufs Handy. Der EU-Bericht zur Prävention in Brandenburg ist da. Die Experten empfehlen, sowohl die Waldweide als auch die Schutzstreifen einzuführen. »Geil!«, ruft Baumann. An fehlendem Enthusiasmus wird ihr Konzept nicht scheitern.