»Ich will das Erbe nicht«

Kai Viehofs Familie verkaufte den Allkauf-Konzern für rund eine Milliarde Euro. Damals war er 17 Jahre alt. Heute sagt er: Niemand hat wegen seiner Herkunft das Recht auf so viel Geld – und gibt seine Millionen aus, um diesen Gedanken einflussreicher zu machen

»Ich will das Erbe nicht«

Kai Viehofs Familie verkaufte den Allkauf-Konzern für rund eine Milliarde Euro. Damals war er 17 Jahre alt. Heute sagt er: Niemand hat wegen seiner Herkunft das Recht auf so viel Geld – und gibt seine Millionen aus, um diesen Gedanken einflussreicher zu machen

DIE ZEIT: In der Generation Ihres Vaters hieß es, die Viehofs seien »geborene Händler«. Sind Sie auch ein geborener Händler?

Kai Viehof: Im Sinne von Verkäufer? Nein, ich bin kein Verkäufer. (lacht leise)

ZEIT: Als Sie aufwuchsen, waren die Viehofs noch die »Allkauf-Familie«, Allkauf war damals eine deutsche Warenhauskette mit über 100 Filialen. Hat das eine große Rolle gespielt?

Viehof: Das war mir gar nicht bewusst. Wenn ich mit meinem Vater am Wochenende zu Allkauf in Mönchengladbach fuhr und wir dann im Büro des Filialleiters saßen, dachte ich, dass er der Chef meines Vaters sei. Bis ich dann irgendwann nach Hause kam und ganz außer mir war, dass irgendein Mitschüler behauptete, uns würde Allkauf gehören.

ZEIT: Ging es denn so bescheiden zu bei Ihnen?

Viehof: Natürlich haben wir uns mehr geleistet als die meisten anderen, aber es war niemals so viel, wie man es dem Klischee folgend vermuten würde.

ZEIT: Sie waren 17, als Allkauf verkauft wurde.

Viehof: Damals stand die Familie am Scheideweg, weil das Unternehmen neues Kapital brauchte. Am Ende stand die Entscheidung zu verkaufen – zu einem Zeitpunkt, als das Unternehmen besonders viel wert war.

ZEIT: Ihre Familie bekam umgerechnet rund eine Milliarde Euro, das Geld verteilte sich auf Ihren Opa Eugen Viehof und seine vier Söhne. Was bedeutete das für Sie in der Enkelgeneration?

Viehof: Da wurde mir die Dimension erst klar, und ich fand das nicht erstrebenswert. Ich weiß noch, dass ich kurz nach dem Verkauf mit einem Freund im Durchgang zu einer Diskothek auf dem Boden saß, Bier trank und sagte: »Ich spende meinen Anteil.«

ZEIT: Dann haben Ihre Onkel und Ihr Vater mit einer Beteiligungsgesellschaft unter anderem in eine Skihalle und zwei kleinere Luftfahrtunternehmen investiert. Nicht gerade ökologisch.

Viehof: Mein Bewusstsein dafür war damals noch nicht so groß. Der Fokus lag mehr darauf, dass Luftfahrt für Neulinge ein schwieriges Geschäft ist. Persönlich würde ich so etwas nie anfangen.

ZEIT: Wenn man zusammenfügt, was zu lesen und zu hören war, dann hat Ihr Vater Ihnen nach und nach einen zweistelligen Millionenbetrag übergeben. Irgendwann haben Sie gesagt, das reicht. Mein Erbe aus der Beteiligungsgesellschaft und damit den größeren Teil schlage ich aus.

Viehof: Das stimmt, ich will mein Erbe nicht. Viel wichtiger, als Besitzstand aufzubauen, ist mir meine persönliche Freiheit, zu entscheiden, wie ich mein Leben lebe und was ich mit dem, das rein juristisch gesehen mir gehört, machen möchte.

ZEIT: Sie konnten in der Familie also nicht frei entscheiden, was Sie mit dem Geld machen?

Viehof: Unsere Familie will einen Vermögensgrundstock erhalten, der über Generationen hinweg weitergegeben wird. Um das zu erreichen, gibt es viele juristische Mittel, die mich zu unfrei gemacht hätten.

ZEIT: Steuersparmodelle?

Viehof: Nein, nein, ich kann das einigermaßen fundiert sagen ...

ZEIT: ... als gelernter Steuerberater ...

Viehof: Da steht das Steuersparen nicht an oberster Stelle. Es ging mehr um die Frage, wie man das Vermögen vor Nachkommen schützt, die nicht mehr mitmachen und ihr Kapital aus der Familiengesellschaft herausziehen wollen.

ZEIT: Das große Problem vieler Industriefamilien, die versuchen, die Firma zusammenzuhalten.

Viehof: Gerade von Finanzberatern werden Schreckensszenarien entworfen, dass dann ein junger Nachkomme eine Tauchschule auf den Malediven eröffnen möchte mit dem schönen ererbten Geld, und das geht ja gar nicht! Oder dass plötzlich die ungeliebte Eheperson eines Abkömmlings mit am Tisch sitzt. Also versucht man juristisch, alles in die »richtigen Bahnen« zu lenken.

ZEIT: Wann haben Sie der Familie gesagt: Ich will dieses Großerbe gar nicht?

Viehof: Das ist jetzt sieben Jahre her.

ZEIT: Da waren Sie 35 Jahre alt. Sie haben lange gewartet.

Viehof: Da waren wir gerade in dem Beratungsprozess für das familiäre Vertragswerk. Und an einem Punkt habe ich gedacht, es läuft wieder alles in den Bahnen von Familienunternehmen und Familienvermögen, mit denen ich persönlich wenig anfangen kann. Ich glaube eben nicht, dass die Herkunft von Menschen darüber entscheiden sollte, ob man Anspruch auf Vermögen hat.

ZEIT: Sondern Leistung?

Viehof: Eher noch, aber ich bin auch kein Verfechter der Leistungsgesellschaft. Wir müssen Möglichkeiten finden, für jeden Menschen auf der Welt ein Leben in Würde zu ermöglichen, und in der Theorie wäre dafür auch genug da. Dafür müssen wir uns aber von der Idee lösen, wir als Nationalstaaten oder gar als Familien oder Einzelpersonen hätten einen besonderen Anspruch auf viel mehr als alle anderen.

ZEIT: Das konnten Sie alles so sagen, ohne dass es zu irgendeiner Art von Bruch führte?

Viehof: Ich habe mich schon lange Zeit an meinem Vater gerieben.

ZEIT: Dem ältesten Sohn des Unternehmensgründers, der auch dessen Vornamen Eugen bekam.

Viehof: Ihm muss ich sehr zugute halten, dass unsere Beziehung darunter nicht gelitten hat. Und seit sowohl meine Schwester als auch ich uns aus dem Verbund gelöst haben, ist das Verhältnis zwischen uns dreien sehr gewachsen. Auch zu meinen Cousinen und Cousins habe ich jetzt ein unverkrampftes Verhältnis.

ZEIT: Hat Ihr Ausstieg und damit auch der Verzicht auf das noch ausstehende Erbe bei Ihrem Vater etwas ausgelöst?

Viehof: Ja. Er hat sich intensiv mit meiner Haltung auseinandergesetzt. Und so langsam kann ich ihn davon überzeugen, in Projekte zu investieren, die mir besonders am Herzen liegen.

ZEIT: Es gibt eine öffentliche Diskussion um das sogenannte Verantwortungseigentum. Die Idee: Das Firmenvermögen wird, statt es zu vererben, in eine Stiftung eingebracht und dauerhaft von denen verwaltet, die das Unternehmen lenken. Selbstbestimmt, ohne dass ein privater Anteilseigner es zum eigenen Gewinn verkaufen kann.

Viehof: Ich begrüße diese Idee sehr und unterstütze sie auch in großem Maße finanziell, etwa über die Purpose-Stiftung in Berlin. Man hört ja immer, so könne ein Unternehmen nicht funktionieren, weil der Mensch nur auf die Maximierung des Eigennutzes programmiert sei und bei so einer Konstruktion niemand als Anteilseigner die Hand aufhält. Aber viele Menschen wissen nicht, dass ein Großunternehmen wie Bosch genau in diesem Geiste agiert: 94 Prozent der Anteile liegen bei einer gemeinnützigen Stiftung.

ZEIT: Sie glauben, dass das auch funktioniert, wenn es ganz viele Unternehmen machen?

Viehof: Ja, man muss es nur wollen. Und die jüngere Generation der Firmenerben kann damit auch viel anfangen.

ZEIT: Ist die Massierung von Eigentum das größte Problem unseres heutigen Wirtschaftssystems?

Viehof: Sie ist definitiv ein großer Fehler, und mir ist es rätselhaft, warum so viele Menschen meinen, einen Anspruch auf große Vermögen durch Geburt zu haben. Natürlich sind dann auch wieder die Erträge aus diesem Kapital ungleich verteilt und so weiter. Für den Gesamtwohlstand einer Gesellschaft wäre es sehr zuträglich, wenn wir das Geld besser verteilen.

ZEIT: Dann könnten Sie persönlich Ihren Kindern nicht mehr viel vererben.

Viehof: Ich möchte nicht, dass meine Kinder in einer Gesellschaft voller sozialer Ungleichheit aufwachsen. Wenn nicht der Besitz über den Status entscheidet, dann öffnen sich neue Dimensionen für das Zwischenmenschliche und das Leben an sich.

ZEIT: Und wie kommt man von A nach B? Setzen Sie auf eine hohe Erbschaftsteuer?

Viehof: Die Erbschaftsteuer ist zu Recht in der Diskussion. Firmen sollten der Gesellschaft zwar erhalten bleiben mit ihren Produkten und ihren Jobs. Aber die derzeitigen Vorschriften stellen das keineswegs sicher, denn schon sieben Jahre nach dem steuerfreien Erbfall kann man Unternehmen wieder veräußern, ohne dass Erbschaftsteuer anfällt. Auch von daher wäre es gut, das Verantwortungseigentum stärker voranzutreiben. Ich bin sehr unglücklich darüber, dass die Bundesregierung das Thema noch nicht ernsthaft aufgegriffen hat. Und jetzt schwimmen ihr die Felle davon, weil sich die Legislaturperiode dem Ende zuneigt.

ZEIT: Ist nicht Verantwortungseigentum auch ein Weg, dem Staat die Steuer vorzuenthalten?

Viehof: Wenn Sie Erbschaftsteuer sowie die Einkommensteuer auf Ausschüttungen und Veräußerungsgewinne meinen, haben Sie recht, dass diese Steuern nicht anfallen. Aber zu Recht, denn die persönlichen Bereicherungen fallen ja auch weg. Von Vorenthalten kann daher keine Rede sein.

ZEIT: Braucht man für die Umsetzung wirklich die Politik?

Viehof: Tatsächlich haben wir auch jetzt rechtliche Krücken, um das Modell lebbar zu gestalten. Aber man könnte seinen Ausbau durch einen sicheren rechtlichen Rahmen und steuerliche Erleichterungen beschleunigen. Ich halte es für ganz wichtig, neue Unternehmen von vornherein so aufzubauen, dass nicht einzelne Personen die Anteile mit persönlichem Gewinn verkaufen oder von den Dividenden prächtig leben können.

ZEIT: Schwebt Ihnen eigentlich ein rein freiwilliger Wandel des Wirtschaftssystems vor?

Viehof: Ich sage mal so: Schon das Plädoyer fürs Verantwortungseigentum führt oft zu der kuriosen Reaktion, das sei Sozialismus. Ich bevorzuge den Weg, mehr Menschen zu überzeugen, dass es einen anderen Weg gibt, als den Privatbesitz immer weiter zu steigern – ohne politisches Diktat.

ZEIT: Ist der Unterschied wirklich so groß zwischen den beiden Unternehmenstypen? Bosch ist mit Verantwortungsvermögen der größte Autozulieferer, Continental ohne diese Konstruktion ähnlich groß und erfolgreich.

Viehof: Natürlich stehen beide im selben Wettbewerb. Aber bei Bosch können eben für 94 Prozent der Anteile keine Gewinne für persönliche Konsumwünsche ausgeschüttet werden, und es kann kein gewinnbringender Verkauf von Anteilen erfolgen. In Sachen persönliche Bereicherung ist das also ein enormer Unterschied.

ZEIT: In der öffentlichen Meinung ist der Unterschied zwischen Familienunternehmern und angestellten Konzernmanagern groß. Die Ersten gelten vielen als gut und langfristig denkend, die Zweiten als böse und kurzfristig motiviert ...

Viehof: Das ist viel zu pauschal. Es geht in beiden Strukturen um die Haltung der verantwortlichen Menschen. Natürlich verspricht die kurzfristige Wertsteigerung bei Aktiengesellschaften mehr Erfolg und Verdienst für die Manager. Doch auch wenn Sie ein Familienunternehmen haben, können Sie alles auf Hochglanz polieren, es verkaufen und dann sagen: Nach uns die Sintflut.

ZEIT: Haben Sie Beispiele?

Viehof: Aus der jüngeren Vergangenheit fällt mir Viessmann ein, das seine Klimasparte vor einem Jahr in die USA verkauft hat. Nur weil irgendwo Familienunternehmen draufsteht, ist es noch nicht wirklich langfristig gedacht.

ZEIT: Sie geben große Teile Ihres Kapitals für ökologische und soziale Zwecke weg.

Viehof: Ja. Vor drei Jahren begann ich, Project Together in Berlin finanziell zu unterstützen ...

ZEIT: ... ein Sozialunternehmen, das große Veränderungsprojekte mit Akteuren aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aufsetzt.

Viehof: Genau. Die setzen schon vieles von dem um, was ich vorher nur gedacht hatte. Vor gut einem Jahr bin ich da in den Beirat gegangen. Mit größeren Summen unterstütze ich auch die gemeinnützige Rechercheorganisation Correctiv oder HateAid, das sich gegen Hass und Hetze im Internet einsetzt.

ZEIT: Sie helfen da und investieren gleichzeitig in junge Firmen, die etwas verändern. Wie entscheiden Sie, wem Sie Geld geben?

Viehof: Nach der Wirkung, die diese Unternehmen in die Gesellschaft oder Wirtschaft tragen. Dafür spreche ich mit den Personen dahinter, am Ende geht es auch um persönliches Vertrauen. Außerdem vermeide ich Start-ups, die noch andere Investoren haben und unbedingt ihren Wert verzehnfachen sollen. Im Impact-Investment, wie das genannt wird, muss man sich im Klaren sein: Was an finanziellem Gewinn für Investorinnen und Investoren abfällt, das steht dem Zweck des Unternehmens nicht mehr zur Verfügung. Trotzdem behaupten genug Akteure auf dem Markt, es sei möglich, großen Impact zu haben und gleichzeitig überdurchschnittlichen Gewinn abzuwerfen.

ZEIT: Was Sie mit Skepsis betrachten.

Viehof: Ich behaupte, das ist gar nicht möglich! Das ist Greenwashing oder Socialwashing.

ZEIT: Trotzdem brauchen auch grüne oder soziale Start-ups Investoren, oder?

Viehof: Da liegt das große Problem. Am Markt wird immer dieses Narrativ hochgehalten, wir Investoren gingen ein so großes Risiko ein. Ganz ehrlich: Vermögende Menschen gehen aufs Ganze gesehen keinerlei existenzielles Risiko ein. Für mich ist die Gefahr eher, nicht dort zu investieren, wo Umwelt und Gesellschaft profitieren.

ZEIT: Sie gehen an die Substanz Ihres Vermögens. Gibt es einen bestimmten Betrag, der verbraucht wird, und einen anderen, den Sie behalten?

Viehof: Einen kleinen Teil halte ich zurück als Absicherung für meine Familie und mich.

ZEIT: Jetzt werden einige sagen: Typisch, er behält eben doch ein paar Millionen für sich.

Viehof: Nur etwas, um die Menschen um mich versorgt zu wissen, und nicht massiv über das hinaus, was man zum Leben braucht. Derzeit plane ich, sieben Achtel meines Vermögens wegzugeben.

ZEIT: Über wie viel Geld verfügen Sie?

Viehof: Einen zweistelligen Millionenbetrag habe ich schon gezahlt oder zugesagt.

ZEIT: Aber Sie sind noch nicht fertig?

Viehof: Nein, aber ich komme langsam in den Bereich, wo ich runterbremsen muss.

ZEIT: Sind Sie in Kontakt mit gleich gesinnten Millionenerben im Land?

Viehof: Bisher habe ich wenige kennengelernt, die tatsächlich die Substanz einsetzen. Project Together bringt gemeinnützige Organisationen mit finanziell vermögenden Personen zusammen. Tolle Retreats haben wir da gemacht. Doch auch dort teilen nicht allzu viele das Bestreben, wirklich eine Menge Geld in die Hand zu nehmen.

ZEIT: Sie haben in Mönchengladbach ein Haus als modernen Co-Working-Space für Sozialunternehmer aufgemacht. Ein wirksames Investment?

Viehof: Definitiv. Solche Menschen brauchen geschützte Räume. Umgibt man sich nur mit denen, die sich im auf Wachstum und Profit getrimmten Wirtschaftssystem bewegen, wird es schwierig mit Ideen, die darüber hinausgehen und echten menschlichen Fortschritt bedeuten.

ZEIT: Was immer wieder auffällt: Ihre Kritik am bestehenden System ist fundamental. Doch die Mittel, die Ihnen vorschweben für den Umbruch, sind zahm.

Viehof: (lacht) Die Feder ist mächtiger als das Schwert. Mein Ansinnen ist es, andere Perspektiven in die Welt zu bringen. Das halte ich für wirksamer, als von oben herab etwas mit der Brechstange durchzusetzen. Wenn sich viele Menschen mit finanziellen Privilegien von ihrem Vermögen trennen, würde Wohlstand gleichmäßiger verteilt. Und das wäre die größte Bereicherung für alle.

Das Gespräch führte Uwe Jean Heuser

Foto: Sabrina Weniger für DIE ZEIT