Womit keiner rechnet

Bibeltreue Fonds in den USA haben eigentümliche Kriterien für die Geldanlage: Waffen sind in Ordnung, ethische Unternehmensführung ist es nicht. Was steckt dahinter?

Womit keiner rechnet

Bibeltreue Fonds in den USA haben eigentümliche Kriterien für die Geldanlage: Waffen sind in Ordnung, ethische Unternehmensführung ist es nicht. Was steckt dahinter?

Nicht um Rendite zu erzielen, nein, »zum Ruhme Gottes« solle man sein Geld investieren! Und das am besten beim US-amerikanischen Fondsanbieter Inspire und bei seinen nach christlichen Grundsätzen gestalteten Indexfonds. Eine »biblisch verantwortungsvolle Geldanlage« sei damit möglich, heißt es auf der Website von Inspire. Die Fonds tragen Abkürzungen wie BIBL für bible oder BLES für blessing, Segen.

Robert Netzly, der Gründer von Inspire, ist nach eigenen Angaben einem höheren Auftrag gefolgt. Er habe seine Karriere ursprünglich als Vermögensberater bei einer Großbank begonnen, erzählt er. Doch bald habe er es nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren können, beispielsweise Wertpapiere von Pharmaunternehmen zu empfehlen, die Abtreibungspillen herstellten. Er habe daher mit seiner Frau gebetet und sei von Gott berufen worden, eine christliche Finanzberatung zu gründen. 2015 legte er die ersten Fonds auf.

Inspire ist keine Nischenfirma mehr. Mehr als zwei Milliarden Dollar verwaltet die Fondsgesellschaft bereits. Der potenzielle Markt für christliche Finanzprodukte allein in den USA beläuft sich sogar auf 21 Billionen Dollar, so hat es zumindest Netzly ausgerechnet. Über so viel Vermögen verfügten Haushalte in den Vereinigten Staaten, die sich in Umfragen zum christlichen Glauben bekennen.

Dass es für diese Zielgruppe nun spezielle Finanzprodukte gibt, ist weniger überraschend als das, was in ihnen steckt. Aktien von Waffenherstellern zum Beispiel: Im Portfolio von Inspire-Fonds finden sich Anteile von Sturm Ruger und Vista Outdoor, der etwa Munition für die bekannten Remington-Gewehre herstellt. Netzly begründet das mit der Arbeit von Polizei und Militär, die schließlich Waffen benötigten. Und ganz abgesehen davon: »Auch Jesus ist kein Pazifist gewesen!«

Deutlich mehr Probleme als mit Waffen haben die fundamentalen Christen indes mit den Grundsätzen ethischer Unternehmensführung, mit sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Auf Englisch heißen diese Prinzipien abgekürzt ESG (Environmental, Social and Governance). Noch bis vor Kurzem hatten Netzlys Fonds versprochen, den ESG-Grundsätzen bei der Auswahl der Aktien zu folgen. Doch damit sei jetzt Schluss, sagt Netzly, denn ESG sei von »radikalen Linken« vereinnahmt worden, die eine »protomarxistische Agenda« verfolgten. Damit machte Inspire weltweit Schlagzeilen, sogar die Financial Times berichtete über Netzlys finanziellen »Krieg gegen liberale Aktivisten«.

Damit steht der Fondsmanager gegen den breiten Trend am Finanzmarkt. ESG-Fonds gehören aktuell zu den populärsten Anlageprodukten. Und es sind nicht nur private Investoren, die sich für ESG begeistern. Immer mehr Pensionskassen und Staatsfonds drängen in die grüne und ethische Form der Anlage. Der Einbruch der Börsen in den ersten Monaten dieses Jahres reduzierte die Zuflüsse, doch Investoren legten im ersten Halbjahr 2022 immerhin 120 Milliarden Dollar an neuem Kapital in entsprechenden Finanzprodukten an. Insgesamt stecken damit rund 2,5 Billionen Dollar in Fonds, die sich diesen Prinzipien verschrieben haben.

Gefragt, wieso er neuerdings einen Widerspruch zwischen biblischen Werten und den ESG-Grundsätzen sehe, verweist Netzly auf den Equality Act. Das ist ein Gesetzesentwurf, der es verbieten würde, Menschen aus der LGBT-Community und andere Minderheiten am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche oder der Kreditvergabe zu diskriminieren. Christliche Konservative behaupten nun, dieses Antidiskriminierungsgesetz beschneide wiederum ihre religiösen Freiheiten. »Dann droht einem Arbeitnehmer die Kündigung, wenn er erklärt, eine Ehe könne nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden«, sagt Netzly.

Richtig ist, dass arbeitsrechtliche Ausnahmen für religiöse Institutionen – etwa die Ablehnung von Arbeitnehmern wegen ihrer sexuellen Orientierung – mit dem neuen Gesetz unzulässig würden. Trotzdem richte sich seine Entscheidung keineswegs gegen Mitglieder der LGBT-Community, behauptet Netzly. Apple werde nicht etwa aus den Inspire-Fonds verbannt, weil dessen Konzernchef Tim Cook schwul sei. Sondern weil sich Apple für die Verabschiedung des Equality Act einsetze.

Seinen Kreuzzug gegen ESG-Anlagekriterien führt Netzly aber nicht allein. Der US-Bundesstaat Florida hat dem bundeseigenen Pensionsfonds untersagt, nach ESG-Kriterien zu investieren, auf Betreiben des Gouverneurs Ron DeSantis, der sich als Präsidentschaftskandidat der Republikaner positioniert. Heike Buchter

Foto: Eduardo Munoz/Reuters