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Wie kann man Müßiggang lernen?

Der Philosoph Alexander Prescott-Couch antwortet

Herr Prescott-Couch, ich kann meine Freizeit oft nicht richtig genießen, weil ich das Gefühl habe, dass ich eigentlich etwas tun müsste: ins Museum gehen, Sport treiben. Dadurch kommt mir meine Freizeit manchmal vor wie Arbeitszeit. Ich würde aber gern mal einfach nichts machen: in den Tag hineinleben, durch die Stadt flanieren, ohne Ziel und Zeitdruck.

Sie reden vom Müßiggang. In der christlich geprägten Welt tun wir uns schwer damit. Schon in der Bibel werden wir bei Matthäus 25,14 dazu ermahnt, unsere Talente richtig einzusetzen und unsere Zeit nicht zu verschwenden. Außerdem stehen wir heutzutage oft unter Druck, besondere Erfahrungen zu machen. Zahlreiche Reiseführer sind darauf ausgerichtet, möglichst viele Erlebnisse in kurze Aufenthalte zu quetschen. In den sozialen Medien können wir die Urlaube und Konzertbesuche der anderen mitverfolgen. Und unsere Freundinnen oder Kollegen fragen uns, was wir am Wochenende so erlebt haben. Mit dieser Frage setzt man den Gesprächspartner unbewusst unter Druck, nicht müßiggängerisch zu sein. Denn wer antwortet, er oder sie habe den ganzen Tag nur abgehangen, wird dafür keinen bewundernden Zuspruch erhalten. Dabei ist es wichtig, Dinge zu tun, ohne Ziele im Hinterkopf zu haben, und seine lustbetonte, kindliche, spielerische Seite auszuleben.

Traditionell war der Müßiggang eine Sache der Adeligen, die faul in den Tag hineinlebten, während der Rest der Bevölkerung schuftete.

Unsere moderne Gesellschaft ist trotz materieller Ungleichheit vom Anspruch her viel egalitärer geworden. Viele Leute halten Müßiggänger für Parasiten, weil der Vollzeit-Müßiggänger nur auf Kosten anderer leben kann. Dabei wird verkannt, dass der Müßiggang ein Akt des Widerstands sein kann. Viele Leute rennen ihren Karrieren hinterher, in ihrer Freizeit arbeiten sie hart an ihrem Körper und ihrer Bildung. Der Müßiggänger sagt: Ich mache da nicht mit. Das hat Charme.

Wie kann man Müßiggang lernen?

Erst mal sollten Sie herausfinden, warum Sie so schlecht darin sind, müßigzugehen. Ist es die Angst vorm Kontrollverlust? Oder Fomo? Damit ist die fear of missing out gemeint, die Angst, etwas zu verpassen. Sorgen Sie sich, mit abschätzigen Blicken abgestraft zu werden, wenn Sie Freunden erzählen, was Sie am Wochenende alles nicht gemacht haben? Oder ist es die Angst vor der Langeweile?

Ich glaube, dass der Druck von außen kommt. Meine Mutter fragt mich am Telefon immer, ob ich auch »schön fleißig« bin. Und am Ende sagt sie gern: Frohes Schaffen!

Wenn Sie mal Kinder haben, sollten Sie denen etwas anderes wünschen: Wilde Abenteuer! Oder: Schöne Begegnungen!

Man könnte den Müßiggang ja auch in den Tagesplan integrieren: An diesem Samstag bin ich von 10 bis 16 Uhr müßiggängerisch – danach gehe ich joggen und dann ins Kino.

Das widerspricht der Natur des Müßiggangs, weil es dabei ja darum geht, sich gerade nicht zu beobachten und zu kontrollieren, auch zeitlich. Auch vom unüberzeugten Müßiggang rate ich ab. Damit meine ich: wenn man eigentlich Sachen im Hinterkopf hat, die man erledigen möchte, aber irgendwie auch in den Tag hineinleben will – und am Abend bemerkt, dass man nur auf Instagram rumgescrollt hat und keine wirklich schöne Zeit hatte.

Zeit ist aber ein springender Punkt. Wer den ganzen Tag arbeitet, hat wenig Möglichkeiten, den Müßiggang auszuleben.

Es gibt im Alltag mehr Gelegenheiten für Müßiggang, als man denkt. Das einzige Problem ist, dass wir heutzutage das Handy, den schlimmsten Feind des Müßiggangs, immer dabeihaben. Durch Smartphones können wir jede Pause nutzen, um zu arbeiten. Dabei sind gerade Situationen, in denen man auf Leute wartet oder im Zug sitzt, sehr gute Gelegenheiten, nichts zu tun, ohne Hintergedanken sich umzuschauen und sich treiben zu lassen. Auch das Handy zu Hause zu lassen, wenn man durch die Stadt bummelt, kann ein Schritt in Richtung des Müßiggangs sein.

Was kann man noch tun?

Gelegentlich kann es kontrollierten Leuten helfen, mal einen über den Durst zu trinken. Am nächsten Tag, wenn man einen Kater hat, fällt es leichter, ein bisschen dem Müßiggang zu frönen. Problematisch wird das allerdings, wenn man sich nur noch mit Alkohol entspannen kann. Manche getriebene Leute sind auch insgeheim froh, wenn sie mal mit einem Schnupfen im Bett liegen. Sie haben dann eine externe Legitimation, nichts zu machen. Ich hatte mal einen Kollegen in Oxford, der sehr korrekt war. Er dachte sich, dass er öfter Regeln brechen müsste, auch wenn er die Regeln eigentlich sinnvoll fand. Denn der Regelbruch müsse trainiert werden, glaubte er, für den Fall, dass er einmal mit wirklich ungerechten Regeln konfrontiert sein würde. Er fing also an, über rote Ampeln zu gehen und schwarzzufahren. So ähnlich könnte die getriebene Person den Müßiggang vor sich selbst rechtfertigen – mal ausbrechen aus dem Hamsterrad, einfach um zu üben, nicht immer getrieben zu sein.

Das Gespräch führte Johannes Dudziak

Prescott-Couch, 38, ist Associate Professor für Philosophie an der Universität Oxford. Er hat an der Harvard-Universität über Wissenschaftsphilosophie promoviert. Gerade arbeitet er an einem Buch über die Philosophie Friedrich Nietzsches

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Foto: Paula Winkler