Rätselhaftes Geldversteck

In einem Schließfach des ehemaligen SPD-Politikers Johannes Kahrs lagen 214.800 Euro. Führt die Spur zum Cum-Ex-Skandal?  Von Karsten Polke-Majewski

Was haben 214.800 Euro in einem Schließfach der Hamburger Sparkasse mit dem Cum-Ex-Skandal der Hamburger Warburg-Bank und mit Bundeskanzler Olaf Scholz zu tun? Die kurze Antwort lautet: Niemand weiß es. Die lange Antwort führt tief in eine Affäre, die einen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft seit fast zwei Jahren beschäftigt.

Am vergangenen Wochenende berichtete die Bild-Zeitung, dass die Staatsanwaltschaft Köln in einem Bankschließfach des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs 214.800 Euro gefunden habe, außerdem 2400 US-Dollar. Woher dieses Geld kommt, weiß sie nicht. Kahrs durfte das Geld sogar behalten, und es ist unklar, ob er es weiter in seinem Schließfach liegen hat. Die Ermittler dürften das Geld nur sicherstellen, wenn sie zum Beispiel davon ausgingen, dass es aus krummen Geschäften stammt.

Es ist nicht verboten, große Mengen Bargeld in einem Schließfach aufzubewahren. Einen Nachweis über die Herkunft irgendwelcher großer Geldmengen muss man in Deutschland erst erbringen, wenn man das Geld auf ein Konto einzahlen will und es damit in Umlauf bringt. Damit soll Geldwäsche verhindert werden. Allerdings könnte sich das Finanzamt dafür interessieren, woher das bei Kahrs entdeckte Geld stammt und ob es versteuert worden ist.

Geöffnet hatte die Staatsanwaltschaft das Schließfach im Zuge einer Hausdurchsuchung. Am 28. September 2021 hatten Ermittler die Wohnung von Kahrs durchsucht, weil sie ihn der Begünstigung zur Steuerhinterziehung verdächtigen. Dieser Verdacht führt viele Jahre zurück, zum Cum-Ex-Fall der Warburg-Bank. Sie machte von 2006 an illegale Cum-Ex-Geschäfte und ließ sich Steuern erstatten, die sie zuvor nie gezahlt hatte. Mehrere Mitarbeiter der Bank wurden dafür vom Landgericht Bonn zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, die Bank musste mehr als 176 Millionen Euro zurückzahlen. Die Staatsanwaltschaft Köln legte jüngst die Anklageschrift gegen den früheren Bank-Chef Christian Olearius vor. Olearius bestreitet alle Vorwürfe.

Im Januar 2016 durchsuchten Ermittler die Geschäftsräume der Warburg-Bank. Sie fanden dabei auch Tagebücher von Olearius. Doch trotz der laufenden Ermittlungen verzichtete die Hamburger Steuerverwaltung Ende 2016 darauf, 47 Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften von der Warburg-Bank zurückzufordern, und ließ die Sache verjähren. Im Jahr darauf wurde eine weitere Verjährung im Fall von 43 Millionen Euro nur durch eine Weisung des Bundesfinanzministeriums gestoppt.

Johannes Kahrs beriet Olearius in jener Zeit, so steht es in einem von dessen Tagebüchern. Kahrs war damals Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Hamburg-Mitte, saß seit 1998 im Bundestag, war haushaltspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er schlug Olearius beispielsweise vor, er könne über den Fall mit der Leitung der BaFin oder dem Bundesfinanzministerium sprechen. Und er sagte, er werde mit Olaf Scholz reden, der damals Erster Bürgermeister Hamburgs war. Scholz sagte später, er könne sich nicht an ein Gespräch mit Kahrs über die Warburg-Bank erinnern.

2017 trafen sich Kahrs und Olearius weiter. Bei einer dieser Begegnungen hatte Kahrs ein Anliegen: Er wollte Geld für die SPD. Ihm sei ein Spender abgesprungen, sagte er Olearius. Nur vier Tage später registrierte die Hamburger SPD eine Spende über 13.000 Euro von einer Firma, an der Olearius beteiligt war. Weitere Firmen, an denen Olearius Anteile hielt, spendeten 2017 ebenfalls, insgesamt gingen 45.500 Euro an die SPD. Den größten Teil erhielt der Kreisverband Mitte.

In beiden Jahren traf sich Olearius auch mit Olaf Scholz, insgesamt drei Mal. Diese Gespräche hatte allerdings nicht Kahrs, sondern der frühere Zweite Bürgermeister Alfons Pawelczyk (auch SPD) vermittelt, so notierte es Olearius. Einmal telefonierten Scholz und der Bankinhaber nach einem Treffen miteinander. In diesem Telefonat, so stellt es Olearius in dem Tagebuch dar, habe Scholz ihn aufgefordert, ein Argumentationspapier der Bank an Finanzsenator Peter Tschentscher weiterzureichen, das Olearius bei dem Treffen zuvor an Scholz übergeben habe. In dem Schreiben verteidigt sich die Bank gegen alle Cum-Ex-Vorwürfe. Kurze Zeit später beschloss die Finanzverwaltung, die 47 Millionen Euro nicht von der Warburg-Bank zurückzufordern.

Scholz bestätigte alle Treffen und das Telefonat, sagte aber auch mehrfach, er habe keine Erinnerung an die Begegnungen. Tschentscher, inzwischen Hamburger Bürgermeister, argumentierte, 2016 sei die Rechtslage nicht klar gewesen.

2020 entzündete sich an den Verjährungen, den Treffen zwischen Scholz und Olearius und dem Schreiben der Bank eine Debatte darüber, ob es im Fall Warburg politische Einflussnahme gegeben habe. Sie führte zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Dort soll Scholz am 19. August zum zweiten Mal aussagen.

Das wiederum führt zu der Frage: Wer hat ein Interesse daran, fast ein Jahr nach der Hausdurchsuchung, aber nicht einmal zwei Wochen vor dem Scholz-Auftritt, die Sache mit den 214.800 Euro an die Presse weiterzugeben? Zumindest ist so wieder ein breites Publikum auf die Untersuchung aufmerksam geworden, obwohl sich am Sachstand in den vergangenen zwei Jahren nur Details verändert haben.

Vor wenigen Tagen berichtete der WDR beispielsweise über Chatnachrichten einer Finanzbeamtin, die damals mit dem Warburg-Fall betraut war. Gegen sie ermittelt die Staatsanwaltschaft ebenfalls wegen Begünstigung sowie wegen Strafvereitlung und Untreue. Sie könnte der Warburg-Bank geholfen haben, sich die Beute aus den Cum-Ex-Deals zu sichern. Als die Finanzverwaltung 2016 entschieden hatte, auf 47 Millionen Euro zu verzichten, soll sie einer Freundin geschrieben haben, ihr teuflischer Plan sei aufgegangen. Als die Freundin nachgefragt habe, ob man verjähren lasse, habe die Finanzbeamtin dies bejaht. Die Finanzbeamtin bestreitet die Vorwürfe.

Und Johannes Kahrs? Er gab 2020 alle politischen Ämter auf. Seither ist er aus der Öffentlichkeit verschwunden und für Journalisten nicht mehr zu erreichen. Im Lobbyregister des Bundestags ist nachzulesen, dass Kahrs eine Beratungsfirma namens Duckdalben Consulting gegründet hat. Sie berät die EUTOP Europe GmbH, eine international tätige Lobbyfirma, die ehemalige Politiker einsetzt, um in Parlamenten, Regierungen und EU-Institutionen für die Interessen von Großkonzernen zu werben.

www.zeit.de/vorgelesen Foto: Morris MacMatzen/Getty Images

Die Warburg-Bank in Hamburg steht im Zentrum eines gewaltigen Steuerraubs