Es blubbert, aber es leuchtet nicht

Eine Koalition zwischen Union und Grünen gilt als die wahrscheinlichste Konstellation nach der Bundestagswahl. Doch das könnte auch gewaltig schiefgehen VON BERND ULRICH

Aller guten Dinge sind drei, sagt man. Oder auch nicht, muss man mit Blick auf das schwarz-grüne Projekt im Bund sagen.

2013 war eine Koalition zwischen Union und Grünen rechnerisch schon einmal möglich. Damals haben Horst Seehofer und Jürgen Trittin das in froher Zwietracht verhindert, oder, weniger personalisiert ausgedrückt: CDU und CSU waren noch nicht liberal und die Grünen noch nicht bürgerlich genug.

2017 dann der zweite Versuch, da waren sich Schwarze und Grüne im Grunde schon einig, so einig, dass die FDP in diesem Bund lieber nicht die Dritte sein wollte und weglief.

In diesem Jahr dürfte nun also der dritte Versuch starten. Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz gilt als die wahrscheinlichste Koalition. 2013 nah dran, 2017 noch näher, 2021 also beinahe zwingend. Was kann denn da noch schiefgehen?!

Alles.

Die Vorgeschichte

Zunächst einmal ist die schwarz-grüne Story, die jahrzehntelang kolportiert wurde, mittlerweile kollabiert. Es war die Geschichte von den 68ern, den verlorenen Söhnen und Töchtern des Bürgertums, die zurückkehren ins Elternhaus, das sich zwischenzeitlich auch ein bisschen modernisiert hat. Es ist die Legende von zweierlei Konservativismen, die zusammenfinden in dem Wort Schöpfung. Schließlich ist es die rührende und auch ein bisschen wahre Geschichte schwesterlicher Sehnsucht, Angela Merkel und Katrin Göring-Eckardt oder Angela Merkel und Annalena Baerbock, die Kanzlerin auf dem Weg zu ihren anderen Heimaten: östlich, weiblich, protestantisch. Keine Frage: Schwarz-Grün, das ist vielleicht eine der schönsten politischen Geschichten dieses Landes. Und bestimmt die schönste, die sich nie ereignet hat.

Und nie ereignen wird. Schwarz-Grün ist selbstverständlich schon noch möglich, aber es wird kaum mehr etwas mit der Vorgeschichte zu tun haben, keine Versöhnung, keine sich schließenden Kreise, keine Sehnsucht, nur Politik, Arbeit, Kalkül. Der einfachste Grund dafür liegt auf der Hand: Angela Merkel wird nicht mehr da sein. Und auch die Merkel-CDU nicht. Denn Teile der Partei wollen ein bisschen rückwärts, prekäre Männlichkeit pflegen, der AfD durch thematische Simulation Raum nehmen und dergleichen. Die liberale Merkel-CDU wiederum konnte sich dreimal nur mit äußerster Mühe behaupten, zweimal gegen den Ex-Politiker Friedrich Merz, einmal gegen den Vorsitzenden der kleinen Schwester, der CSU. Die jeweils knapp obsiegenden Merkelianer mussten in ihren kurzen Amtszeiten mehr Zugeständnisse nach rechts hin machen als Merkel in zwei Jahrzehnten als CDU-Chefin. Kurzum, so schwach wie heute waren die Grünoiden in der Union schon lange nicht mehr. (Hätte Markus Söder sich durchgesetzt, sähe die Sache zumindest ökologisch etwas anders aus.)

Die Union hat also aufgehört, immer liberaler oder gar grüner zu werden, während die Grünen sich unterdessen eine Radikalität eingehandelt haben, die kaum mehr von ihrer wilden 68er-Vergangenheit herrührt, sondern mit der Zukunft des Klimas zu tun hat und mit dem Tempo, das nötig geworden ist, um da noch etwas zu retten. Das ist der wichtigste Unterschied zu 2017: Die Klimakrise hat sich weiter verschärft, und eine neue Bewegung, Fridays for Future, ist entstanden, die alle, gerade auch die Grünen, daran erinnert, dass es so ist und deshalb große Worte nicht mehr zählen, sondern nur sinkende Zahlen.

Die einen, die von der Union, gehen also identitär eher nach rechts, die anderen molekular nach links. Was wiederum Folgen auf der je anderen Seite hat: Denn viele aktivistische Grüne, gerade solche, die bei einem guten Wahlergebnis auf den hinteren Listenplätzen in den Bundestag einziehen könnten, sind identitätspolitisch leicht provozierbar, etwa von Friedrich Merz und erst recht von Hans-Georg Maaßen. Viele in der Union wiederum scheinen geradezu darauf zu warten, die neue molekulare erzwungene Radikalität der Grünen als ideologische zu behandeln und abzutun, wovon die Moleküle jedoch vermutlich nicht verschwinden. Wer Laschets Interviews sorgfältig liest, wird immer wieder eine rhetorische Figur finden: Kritik an der Glaubwürdigkeit der Grünen, ihrer Heuchelei und so weiter. Was gewiss alles seine Berechtigung, aber rein gar nichts mit einer zielführenden Klimapolitik zu tun hat, sondern nur von ihr ablenkt, auch ihn selbst.

Beim Habitus haben sich die Dinge seit 2017 ebenso wenig verbessert. Die Grünen sind zwar mittlerweile so bürgerlich, dass man schwerlich mit einem von ihnen bei Rot über eine Ampel gehen kann. Doch dafür beginnt sich die Union nach Merkel stellenweise zu entbürgerlichen: Nach rechts hin droht im Osten der Verlust von Façon, viele von der Parteispitze unbeeinflussbare Direktkandidaten bergen erhebliche populistische Risiken. Unbürgerlich wirkt nicht zuletzt der Hauch von Korruption, der sich nach 16 Jahren Regieren zwischen den Stuhlreihen der Unionsabgeordneten festgesetzt hat.

Kurzum, die Vorgeschichte ist verweht, etwas Neues, etwas Überbau- und Illusionsloses hat begonnen, etwas, von dem niemand weiß, wo es endet.

Der Wahlkampf

Zum ersten Mal seit Gründung der Ökopartei betrachten Union und Grüne einander in einem Wahlkampf als Hauptgegner, sie sind die Favoriten, sie kämpfen um die Nummer eins und um die Mitte. Dabei werden die Grünen die Schwarzen nicht allzu hart angehen können, weil sie ihren Anhängern ja zugleich plausibel machen müssen, dass eine schwarz-grüne Koalition kein Verrat wäre, sondern eine lohnende Sache. Die Dämonisierung eines potenziellen Koalitionspartners findet ihre Grenze eben da, wo sie die Wählerinnen so irritiert, dass die vor Schreck was anderes wählen, die SPD zum Beispiel, um ein extremes Beispiel zu nennen.

Eigentlich müsste diese Logik auch für die Union gelten, wäre sie nicht so furchtbar gekränkt, geschwächt und verunsichert. Von ihr ist – nach allem, was man hört – ein ziemlich harter Wahlkampf gegen die Grünen zu erwarten. Der besteht, Stand heute, aus zwei Elementen. Wichtigstes polemisches Mittel wird die Warnung vor Grün-Rot-Rot sein, respektive dem Weltuntergang. Soweit erkennbar, glauben viele in der Union tatsächlich, dass die Grünen sofort G2R machen würden, wenn sie dafür das Kanzlerinnenamt bekämen. In dieser Sache liegt auch ein etwas lustiger Aspekt, und der hat mit dem Grund zu tun, weshalb die Grünen G2R eben nicht machen würden: Die Linken betreiben nämlich eine affirmative Russlandpolitik, die mit den Grünen einfach nicht zu machen ist, mit der ostdeutschen CDU, mit der CSU und wohl auch mit Armin Laschet schon eher. Die Angelegenheit ist jedoch nicht nur lustig, so ein 20.-Jahrhundert-Wahlkampf von Schwarz gegen Grün könnte Schwarz-Grün auch gefährlich unterminieren.

Das zweite, strategisch bedeutsamere Element des antigrünen Unionswahlkampfes bezieht sich auf die Klimapolitik. Hier vertreten die Grünen im Grunde eine Position, die sich aus den Festlegungen des Pariser Abkommens und dem Beschluss der EU ergibt, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren. Dass beides namentlich von Angela Merkel (CDU) und Ursula von der Leyen (CDU) vorangetrieben worden ist, wird Armin Laschet (ebenfalls CDU) nicht davon abhalten, den Weg der Grünen zu diesem Ziel als zu radikal zu kritisieren, ohne selbst einen realistischen Weg zum selben Ziel zu formulieren.

Beispielsweise betont Laschet derzeit immer wieder, dass er für einen früheren Kohleausstieg durchaus zu haben sei, wenn die Grünen ihm nachweisen könnten, woher dann der Strom kommen solle und wie das sozialverträglich gemacht werden könne. Darin steckt ein absichtsvolles Missverständnis. Denn die Grünen fordern einen früheren Kohleausstieg ja nicht aus Daffke, sondern weil mit den vorliegenden Plänen die gegebenen CO₂-Minderungsziele nicht zu erreichen sind. Wenn also Laschet am Kohleausstieg bis 2038 festhalten will, müsste er – also wirklich er – sich entweder von den von der Union selbst unterzeichneten Zielen verabschieden oder eben zeigen, wo sonst und mit welchen alternativen radikalen Maßnahmen er diese Einsparungen stattdessen reinholen will.

Jedoch möchte die CDU im Wahlkampf offenbar ein anderes Framing durchsetzen: (unbequeme) klimapolitische Forderungen werden mit dem (bequemen) Status quo verglichen und nicht etwa mit klimapolitischen Forderungen der CDU, die schließlich auch nur anders unbequem sein könnten. Andernfalls würden die Wählerinnen nämlich merken, was jeder weiß, der sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt: Die Minderungsziele sind ohne weniger Fliegen, weniger Autos, weniger Fleisch und einen früheren Kohleausstieg nicht zu erreichen. Egal ob man dazu grüne, gelbe, rote oder eben schwarze Methoden anwendet. Das sind alles ziemlich unschwarze Tatsachen, an die irgendjemand die Partei rasch gewöhnen müsste. Aber wer?

Es bleibt das verschlungene Paradox: Die CDU wirft den Grünen eine klimapolitische Radikalität vor, die gar nicht nötig wäre, wenn die CDU in 16 Jahren Regierung mehr fürs Klima getan hätte, und die sie selbst auch an den Tag legen müsste, wenn sie ihre gegebenen Versprechen einlösen wollte. Die potenziellen Wählerinnen der Grünen wird diese fast schon akrobatische Heuchelei der Union wenig beeindrucken, dennoch hat sie Folgen: für die CDU. Denn die bereitet sich mit so einem Wahlkampf systematisch darauf vor, die tiefe Transformation nicht zu schaffen, die ihr Schwarz-Grün (erst recht Grün-Schwarz) abverlangen würde.

Die Koalitionsverhandlungen

Die CDU ist nach 16 Jahren Merkel in einer doppelt disruptiven Phase angekommen. Zum einen kann die Methode Merkel nach ihr nicht so weitergeführt werden, die Union braucht eine grundlegende Erneuerung. Zum anderen ist auch die Welt disruptiv geworden, nicht nur ökologisch. Dennoch hat die CDU gleich drei Disruptionsangebote abgelehnt. Das von Friedrich Merz, der einen Bruch wollte, zwar zum Gestern hin, aber immerhin einen Bruch. Sodann das von Norbert Röttgen, der für eine programmatischere, präventivere Politik warb, was abgewiesen wurde. Schließlich unterbreitete auch Söder in Form (Ich) und Inhalt (Ökologie) einen Vorschlag zu grundlegender Veränderung. Dreimal haben sich die Mehrheit oder die Gremien lieber für eine Kontinuität entschieden, die sie sich wünschen, ohne freilich noch an sie zu glauben. Die vierte Variante für Disruption wäre dann Schwarz-Grün, wenn es trotz kollabierter Vorgeschichte und mutmaßlich unschönem Wahlkampf so weit kommen sollte.

Hier, bei den etwaigen Koalitionsverhandlungen, lauert allerdings das nächste, das größte Hindernis. In der CDU geht man offenbar davon aus, dass schwarz-grüne Verhandlungen so laufen wie immer: Die einen sagen 12 Prozent, die anderen 16, also trifft man sich bei 14. Die einen wollen 20 Milliarden für X, die anderen 20 Milliarden für Y, also einigt man sich auf je 15 Milliarden für X und Y. In vielen Bereichen wird das auch so gehen, nur nicht in der Klimapolitik, denn da gilt: Wenn sich die Union mit den Grünen in der Mitte treffen will, dann wird sie die Grünen vermutlich dort nicht antreffen. Der Grund dafür ist einfach: Anders als sonst üblich, kann der grüne Erfolg oder Misserfolg in einer schwarz-grünen Koalition hinterher weder vernebelt noch beschönigt werden, denn er ist gewissermaßen bis aufs Molekül genau messbar. Folglich können die Grünen nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der die Klimaziele zumindest einhalten könnte und der darum nicht zugleich die Gründungsurkunde einer zweiten grünen oder eben grüneren Partei darstellt. Konkret heißt das: Die Vorgaben aus Brüssel – 55 Prozent bis 2030 – machen auf Deutschland runtergerechnet etwa 70 Prozent aus, bedeuten also eine mittlere Revolution. Das muss ein Koalitionsvertrag aus grüner Sicht leisten können, Kompromisse gibt es beim Weg dorthin, aber nicht in der Zielsetzung.

Und so schließt sich der Kreis: Die schlechte Klimapolitik der Union der vergangenen Jahre zwingt die Grünen zu radikalen Forderungen, die sie einem schwarzen Koalitionspartner aufzwingt, damit der doch noch halten kann, was er selbst versprochen hat. Klingt angenehm dialektisch, ist aber das diametrale Gegenteil von dem, worauf sich die CDU bislang vorbereitet und worauf sich ihr Kanzlerkandidat einstellt.

Schwarz-Grün würde also – wenn überhaupt – eher eine komplementäre als eine Konsenskoalition, heißt, jeder macht seins, der andere quatscht nicht rein. Das wiederum hielte auch für die grüne Klientel harte Zumutungen bereit. Denn wenn die Union beim Megathema Klima den grünen Kurs weitgehend akzeptieren sollte, dann müssten die Grünen im Gegenzug bei außerökologischen Themen erhebliche Zugeständnisse machen, was ihnen mit ihren in 16 regierungslosen Jahren angestauten Wünschen extrem schwerfallen dürfte. (Und wenn die Union bei unter 30 Prozent landen würde, käme noch ein Kränkungsrabatt hinzu.) Manche dieser Themen, zum Beispiel in der Gesellschafts- und Migrationspolitik, eignen sich wiederum hervorragend dazu, eine Koalition mit einer kulturkämpferischen Binnenspannung auszustatten, die das Regieren zu einer ziemlich unfrohen Angelegenheit machen könnte.

Schwarz-Grün ist also alles andere als eine gmahde Wies’n, vielmehr wäre Schwarz-Grün das schwerste Stück politischer Koalitionsarbeit in der Geschichte der Republik. Aber warum auch nicht?!

Zum Wahlkampf der Grünen siehe auch Feuilleton, S. 51

Foto: Thomas Imo/Photothek/imago Foto: F. Kern/imago Illustration: Doreen Borsutzki für DIE ZEIT

Nach links: Annalena Baerbock

Nach rechts: Armin Laschet

Jeder für sich wie in der Lavalampe?